Kosten:Der verflixte fünfte Tag

Vier Tage Bahnstreik kann die deutsche Industrie offenbar ohne größere Produktionsausfälle überstehen. Danach allerdings dürfte es für eine ganze Reihe großer Unternehmen teuer werden. Von 100 Millionen Euro ist die Rede. Pro Tag.

Von Karl-Heinz Büschemann und Jakob Schulz

Die Republik ist empört, und die Wirtschaft ist damit beschäftigt, den drohenden Schaden zu beschränken. Der neue, einwöchige Streik der Lokführer lässt die Unternehmen eilig prüfen, ob der Arbeitskampf zu Engpässen oder gar zur Schließung von Fabriken führen kann. Wo kann man auf Lastwagen ausweichen, kann man Kunden vertrösten? In den Firmen ist die Unsicherheit zu spüren. Die Wirtschaft ist angreifbar, sie lebt davon, mit kleinen Lagern zu arbeiten und sich kurzfristig bei ihren Lieferanten zu bedienen. Das spart Kosten. Es sei denn, es ist Streik.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft fasst die Wirkung von Arbeitskämpfen bei der Bahn so zusammen: "Ab vier Tagen wird es teuer." Kurze Streiks könne die Industrie schon verkraften. Doch nach vier Tagen ohne Schiene "schießt der Schaden in die Höhe", sagen die Ökonomen des unternehmernahen Instituts. Dann seien "Produktionsunterbrechungen zu erwarten". Die Schäden könnten "schnell von einstelligen Millionenbeträgen auf über 100 Millionen pro Tag ansteigen". Dabei laufen nur etwa 17 Prozent des Güterverkehrs in Deutschland über die Bahn. Aber das reicht, um vor weitreichenden Folgen zu warnen und die kämpferische Kleingewerkschaft zum Einlenken aufzufordern.

So fürchtet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) weitreichende Folgen: "Die erneute Eskalation im Tarifstreit bei der Deutschen Bahn schadet dem Industriestandort Deutschland massiv", erklärt Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung im BDI. "Die Folge sind leere Lager, unterbrochene Wertschöpfungsketten und Produktionsausfälle in zahlreichen Industriebranchen." Besonders betroffen seien die Stahl-, die chemische und die Automobilindustrie. "Erschwerend kommen Verspätungen im Straßenverkehr aufgrund eines höheren Verkehrsaufkommens hinzu."

Die meisten Unternehmen bräuchten nicht weniger als vier Wochen Vorwarnzeit

Die Chemieindustrie, die neben dem Maschinenbau und der Autoindustrie eine der wichtigsten Branchen ist, schließt schwere Beeinträchtigungen in ihren Fabriken nicht aus.. "Störungen im Schienengüterverkehr haben weitreichende Auswirkungen auf die Branche und Kunden", sagt eine Sprecherin des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). "Wenn so ein Streik länger dauert, muss man mit Engpässen bei der Versorgung von Rohstoffen rechnen." Auch die Stahlindustrie befürchtet Nachteile. Jeden Tag transportiere die Bahn 200 000 Tonnen für die Branche, sagt Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Fachleute wissen, dass Unternehmen im Schnitt vier Wochen Vorbereitung brauchen, um die Auswirkungen eines Bahnstreiks abfedern zu können. Doch diese Zeit hat der GDL-Chef Claus Weselsky den Firmen nicht gelassen. Trotzdem winken manche ab. "Wir erwarten keine Beeinträchtigungen", heißt es bei Siemens. Man arbeite bevorzugt mit Lkw-Speditionen.

Auch der Chemiekonzern BASF versucht, die Sache herunterzuspielen. Man habe eine "diversifizierende Bahnstrategie" und könne auf andere Anbieter ausweichen. Aber die Ludwigshafener müssen einräumen, dass schon die kürzeren Streiks der vergangenen Wochen "zu Verzögerungen im Betriebsablauf geführt" hätten. Die Folgen seien "noch nicht völlig abschätzbar", sagt eine Sprecherin. Der Autohersteller BMW vermittelt den Eindruck, als werde er kaum tangiert sein. "Wir werden die Versorgung unserer Werke sicherstellen", heißt es. Die Experten seien dabei, die üblicherweise per Bahn angelieferten Zulieferteile auf Lkw umzuleiten. Ob das gelingt, scheint aber noch nicht ganz klar zu sein. Der Abtransport der fertigen Autos sei wahrscheinlich gesichert, so ein Sprecher. Etwa 60 Prozent der in Deutschland gefertigten BMW-Autos werden per Bahn abtransportiert. Man hoffe in den Zeiten des Engpasses auf bevorzugte Behandlung durch die Bahn, die auch auf beamtete Lokführer zurückgreifen könne.

Es gibt auch Gewinner: Busunternehmen und Autovermieter freuen sich

Marktführer Volkswagen gibt sich viel weniger sicher. "Wir können Auswirkungen nicht ausschließen", sagt ein Sprecher in Wolfsburg. Der Verband der Automobilindustrie geht noch weiter. Ein bis zwei Tage Streik, so erklärt Verbandschef Matthias Wissmann, ließen sich verkraften. "Doch je länger ein Streik im Güterverkehr dauert, desto größer wird die Gefahr, dass die Produktionsabläufe ins Stocken geraten und die Bänder stehen bleiben." Mit dem Streik von einer Woche werde jetzt "eine neue Dimension erreicht". Die Gefahr von Störungen oder Produktionsausfällen steige in diesen Tagen "ganz erheblich".

Mit dem Rekordstreik schaden die Lokführer auch dem eigenen Unternehmen, vor allem dessen Güterverkehrssparte. "Unser Image als verlässlicher Verkehrsträger ist in Gefahr. Wir werden massiv Geschäft verlieren", sagt Logistik-Vorstand Karl-Friedrich Rausch in Berlin.

Aber es gibt auch Gewinner, zum Beispiel die Anbieter von Fernbussen. In deren Zentralen ist die Stimmung ausgelassen. Seit Bekanntgabe des Bahnstreiks am Sonntagabend vervielfachten sich beim Anbieter Meinfernbus Flixbus die Anfragen. Der Marktführer verzeichne auf seiner Website bis zu fünfmal mehr Zugriffe als an normalen Tagen, sagt eine Sprecherin. Das Unternehmen sieht im Streik eine gute Gelegenheit, Bahnfahrer vom Verkehrsmittel Fernbus zu überzeugen. Man könne die Zahl der eingesetzten Busse kurzfristig auch noch aufstocken.

Dass der Rekord-Bahnstreik für den Autovermieter Sixt eine Festwoche werden dürfte, will das Münchner Unternehmen nicht bestätigen. Aber der deutsche Marktführer stellt sich auf einen Ansturm ein. Bekannt für aggressive Werbebotschaften hatte Sixt im November GDL-Chef Weselsky in großflächigen Werbebotschaften zum "Mitarbeiter des Monats" gemacht. Sixt hat bereits mehr Autos an wichtige Bahnhöfe oder Flughäfen gebracht. Sollten dort Fahrzeuge knapp werden, kann das Unternehmen zudem die Ausmusterung von Autos verzögern oder neue Fahrzeuge schneller in Dienst nehmen. Die Woche fängt für den Vermieter gut an.

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