Korruptionsprozess gegen Bo Xilai:Schauspiel mit zwei Regisseuren

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Journalisten verfolgen vorproduzierte Videos mit Zeugenaussagen (Foto: Carlos Barria/Reuters)

Beim Prozess gegen Chinas einstigen Politstar Bo Xilai geht es mehr um Kontrolle als um Rechtsprechung. Die Kommunistische Partei ist geübt in der Inszenierung - doch diesmal hat sie den Angeklagten unterschätzt.

Von Kai Strittmatter, Peking

Am Freitagmorgen, zu Beginn des zweiten Tages seines Prozesses, gefiel es Bo Xilai, seinem Richter ein Kompliment zu machen: Er sei "zivilisiert und vernünftig". Da war Bo längst der Angeklagte, der seinem Schauprozess die Schau stiehlt. Das Verfahren gegen Chinas einstigen Politstar hat die Nation gepackt.

Das Publikum hatte ein minutiös einstudiertes Verfahren erwartet; erst das selbstbewusste Auftreten Bos, die Nonchalance, mit der er zentrale Teile der Anklage zerpflückt, macht den Prozess zu einem Drama. "Besser als 'Boston Legal'", twitterte Michael Anti, einer der populärsten Blogger Chinas, in Anspielung auf eine US-Anwalts-Serie. Um dann die Frage nachzuschieben, die nun alle beschäftigt: "Ist das noch Drehbuch oder total außer Kontrolle?"

Tatsächlich geht es hier um Kontrolle mehr als um Rechtsprechung - Kontrolle über die Interpretation des ganzen Korruptions- und Mordskandals rund um die Familie Bo. Eigentlich ist die KP erfahren bei der Inszenierung solcher politischen Prozesse, bei denen das Urteil im Vorhinein feststeht.

Diesmal wollte sie noch einen Schritt weitergehen und propagierte die "Offenheit" des Verfahrens als Beweis für den angeblichen Fortschritt des Rechtsstaates in China. Ausländische Journalisten wurden keine in den Gerichtssaal gelassen, auch gab es keine Fernsehbilder. Aber man wagte eine Premiere für China: Live-Mikroblogs aus dem Gerichtssaal.

Eine Villa an der Côte d'Azur

Über Sina Weibo - Chinas Gegenstück zu Twitter - setzte das Gericht am ersten Tag 59 Meldungen und Auszüge aus dem Protokoll ab, außerdem wurden vorproduzierte Videos mit Zeugenaussagen über die Gerichtswebseite versendet.

Gleichzeitig stellten die Zensoren sicher, dass die Offenheit nicht zu weit ging: Kritische Kommentare der Weibo-Blogs hatten keine Chance, zu lesen war tausendfach Lobpreis für die Regierung: "Das ist ein Sieg des chinesischen Rechts!", "Unterstützt die Zentralregierung auf ewig!", "Das Zentralkomitee geht entschlossen gegen die Korruption vor!" - Kommentare wohl aus dem Lager von Chinas "Internet-Wasserarmee", so heißt das Heer der Lohnschreiber im Netz, die sich von Firmen wie von der Propaganda gleichermaßen anheuern lassen.

Ein Kalkül für die relative Offenheit der Nachrichten aus dem Gericht mag gewesen sein, durch die vielen Details aus den Korruptionsanwürfen das Bild Bo Xilais bei seinen zahlreichen Anhängern als Held der sozial Benachteiligten zu zerstören. Das ist jedenfalls schiefgegangen. Mit einem Mal schien die Inszenierung einen zweiten Regisseur zu haben: Bo Xilai, ein Mann der die Manipulation von Medien und Volksgunst so beherrscht wie kein zweiter in Chinas Elite.

Und so bekamen die Chinesen zwar jenes Gerichtsfoto zu sehen, das den mit 1,84 Meter für China sehr großen Angeklagten zum Zwerg zu machen suchte, indem es ihn zwischen zwei Polizisten stellte, die ihn noch um einen Kopf überragten. Und sie lasen auch, wie Bos Ehefrau Gu Kailai über Tarnfirmen mit dem Geld eines befreundeten Geschäftsmannes eine Villa an der Côte d'Azur besorgte. Oder wie derselbe Geschäftsmann den Sohn Bo Guagua mit einem Privatjet zum Kilimandscharo fliegen ließ, von wo er dem Vater als Mitbringsel ein Stück Fleisch eines "exotischen Tieres" mitbrachte. Roh.

"Wie in einem Hollywoodklassiker"

Die Chinesen lasen aber auch die smarte Verteidigungsrede eines Mannes, der sich offensichtlich nicht hatte brechen lassen, der zentrale Vorwürfe einfach bestritt, der sich von Frau und Sohn distanzierte, und der den Kronzeugen Xu Ming - besagten Geschäftsmann - im dramaturgischen Höhepunkt des Schauspiels regelrecht zerlegte: Sechs Mal fragte er den Zeugen, ob er jemals mit ihm, Bo, direkt über Geldzahlungen gesprochen habe, sechs Mal musste der Zeuge antworten: "Nein". "Episch!", schrieb einer im Netz. "Wie in einem Hollywoodklassiker."

War das nun Provokation auf Seiten Bos oder war es abgesprochen: ein Entgegenkommen der Parteiaristokratie, um Bo - eben noch einer der ihren - einen Rest an Würde zu lassen? Auf jeden Fall mussten die Reaktionen im Netz die Regierung alarmieren: Bo Xilai weiß, dass sein Schuldspruch längst feststeht.

Wenn er darauf abzielte, sich vor seinen Sympathisanten reinzuwaschen und zum Helden zu machen, dann schien das zu funktionieren. Selbst kritische Nutzer zollten Bo Bewunderung: "Logik, Eloquenz und Gedächtnis des Mannes sind bemerkenswert", schrieb ein Nutzer namens Luo Tiehang auf Weibo: "Als jemand, der smarte Leute mag, hätte ich beinahe vergessen, wie böse, habgierig und skrupellos er ist."

Sofort nach Prozessende versuchte die Parteipresse gegenzusteuern. Mehrere Onlinemedien veröffentlichten einen Artikel, der es schaffte, in einem Titel vier Schmähungen Bos unterzubringen: "Schurkerei und Spitzfindigkeit - der letzte Akt des Wahnsinns eines Heuchlers." Ebenso bezeichnend: Der Strom der Tweets aus dem Gerichtssaal - am Vormittag des zweiten Tages versiegte er zunächst fast völlig. Die Behörden versuchten die Kontrolle ein Stück weit zurückzugewinnen.

Qing Weiping, ein von Bo Xilai einst verfolgter und eingesperrter Journalist, schrieb am Freitag, Bo könne nicht anders: "Wenn er eine Bühne sieht und Zuschauer, dann wirft er sich in Verkleidung und schauspielert." Der liberale Historiker und Autor Zhang Lifan sieht das ähnlich: Bo gebe "den gefallenen Helden", um seine Fans zu begeistern, schreibt Zhang in einem Essay - und spalte so Gesellschaft und Partei weiter. "Vielleicht löst er bald einen neuen Machtkampf aus." Ein guter Schauspieler solle auf der Bühne sterben, schreibt Zhang. "Bo ist nicht nur ein guter Schauspieler - er ist auch ein guter Bösewicht."

© SZ vom 24.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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