Korruptionskandal:Palast oder Knast für Lula

Korruptionskandal: Ihm drohen neuneinhalb Jahre Haft - Lula will seinen Wahlkampf dennoch fortsetzen.

Ihm drohen neuneinhalb Jahre Haft - Lula will seinen Wahlkampf dennoch fortsetzen.

(Foto: AFP)
  • Am heutigen Mittwoch könnte sich entscheiden, ob Brasiliens beliebter Ex-Präsident Lula da Silva ins Gefängnis muss.
  • Wegen Korruptionsvorwürfen drohen ihm neuneinhalb Jahre Haft. Allerdings konnten die Vorwürfe bisher nicht eindeutig bewiesen werden.
  • Durch eine Verurteilung könnte Lula das Recht darauf verlieren, bei der Präsidentenwahl Ende des Jahres anzutreten. Er hat bereits angekündigt, dies nicht hinnehmen zu wollen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Was wird Luiz Inácio Lula da Silva wohl machen, wenn das alles vorbei ist? Der Prozess also, der darüber entscheidet, ob er wieder Präsident von Brasilien werden kann oder ob er als erster Ex-Präsident in der Geschichte dieses Landes ins Gefängnis muss? Leicht zugespitzt geht es für ihn um die Alternative: Palast oder Knast. Seit Wochen bestimmt dieses Thema die politische Debatte.

Diesen Mittwoch soll endlich die Entscheidung fallen, so hat es das zuständige Berufungsgericht in Porto Alegre angekündigt. Die Zeitung O Globo stimmt ihre Leser auf den "D-Day" ein. Lula aber tut einfach so, als könne alles ganz normal weitergehen wie bisher. Am Wochenende will er nach Äthiopien fliegen, um an einer Veranstaltung zum Thema "Hunger in Afrika" teilzunehmen.

Nahezu alle Experten prophezeien, dass in Porto Alegre das erstinstanzliche Urteil bestätigt wird. Es stammt vom Juli 2017 und lautete: Neuneinhalb Jahre Haft wegen Korruption und Geldwäsche. Extrem unwahrscheinlich ist dagegen, dass Lula am Mittwoch sofort in Handschellen abgeführt wird. Seinem Afrika-Trip steht wohl nichts im Wege. Und da fragt sich natürlich manch einer: Kommt er überhaupt wieder zurück, falls es bei der Haftstrafe bleibt? Er wäre ja nicht der erste ehemalige Staatschef Lateinamerikas, der vor der Strafverfolgung flieht.

Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens ist Lula nicht irgendwer, sondern der vielleicht bekannteste Brasilianer, der sein Geld nicht mit Fußball verdient. Er kann sich nicht einfach so verstecken. Zweitens wäre es schlichtweg nicht seine Art. Lula, 72, hat bereits angekündigt, dass sein Präsidentschaftswahlkampf weitergehen wird, egal, was die Richter am Mittwoch entscheiden.

Die Rolle des Opfers einer konservativen Hetzjagd spielt Lula meisterlich

Was er sagen wird, wenn sie ihn verurteilen, steht im Grunde auch schon fest. Das spult er bei jeder Gelegenheit ab wie vom Tonband: Dass es sich um einen großen Betrug handelt, dass er unschuldig ist, dass es keinerlei Beweise gegen ihn gibt, dass es ein politischer Prozess war, um seine Rückkehr ins höchste Staatsamt zu verhindert. In allen Umfragen liegt er mit komfortablem Vorsprung vorne.

Lula ist immer noch die Galionsfigur der Linken in Lateinamerika, der Held der Armen, der Mann des Volkes, mit dem im Krisenland Brasilien Millionen ihre Sehnsucht nach besseren Tagen verbinden. Daran hat auch dieser Prozess nichts geändert, im Gegenteil. Seine Rolle als Opfer einer Hetzjagd der konservativen Eliten spielt er meisterlich. Zehntausende Lula-Fans sind in den vergangenen Tagen nach Porto Alegre gepilgert. Sie errichteten Mahnwachen vor dem Gerichtsgebäude.

Die Behörden der südbrasilianischen Stadt sind in Alarmbereitschaft und beantragten die Unterstützung von Bundestruppen. Es muss mit allem gerechnet werden, nicht nur wegen solcher Ankündigungen: "Wenn sie Lula festnehmen wollen, müssen sie zuerst viele andere Leute festnehmen, und ich würde sogar sagen, sie müssen Leute töten, viele Leute töten." Dieser Satz stammt nicht aus einem Forum des Schwarzen Blocks, sondern von Gleisi Hoffmann, der Vorsitzenden von Lulas Arbeiterpartei PT.

Die Vorwürfe gegen den Ex-Präsidenten sind schwammig

Eben weil die Situation so angespannt ist, um den sozialen Friedens willen, wird Lula wohl auch im Falle einer Verurteilung vorerst auf freiem Fuß bleiben. Und zwar so lange, bis alle formalen Einspruchsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Das kann sich - die brasilianische Bürokratie lässt grüßen - eine Weile hinziehen. Unter Umständen sogar bis zum Wahltermin am 7. Oktober.

Die Ausgangslage im Wahljahr der größten Demokratie Südamerikas könnte kaum bizarrer sein. Mehr als ein Drittel der Brasilianer würde nach Lage der Dinge für jenen Kandidaten stimmen, den die Staatsanwälte der Task-Force "Operacão Lava Jato" (Autowäsche) als das "Mastermind" des größten brasilianischen Korruptionsschemas aller Zeiten bezeichnet haben.

Das Ausmaß dieses Skandals rund um den halbstaatlichen Erdölriesen Petrobras ist aber auch Lulas wichtigster Trumpf. Denn die entscheidenden Figuren nahezu aller Parteien sind betroffen. Der aktuelle Staatspräsident Michel Temer von der Zentrumspartei PMDB konnte nur deshalb noch nicht verurteilt werden, weil ihn die Immunität seines Amtes schützt. Die dubiosen Gestalten, die mutmaßlich Korrupten sind im Feld der Wahlkämpfer nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Falls es einen unbelasteten Heilsbringer geben sollte, hat er sich noch nicht gemeldet.

Im Falle einer Verurteilung müssten sich auch Lulas Gegner politisch neu erfinden

Der Fall Lula sticht vor allem wegen seiner politischen Brisanz heraus. In dem aktuellen Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten (2003 bis 2010) geht es um verhältnismäßig schwammige Vorwürfe. Der Richter Sérgio Moro, der seit fast vier Jahren im Rahmen von Lava Jato hochrangige Politiker und Unternehmer fließbandartig verurteilt, sah es in erster Instanz als erwiesen an, dass Lula sein Amt missbrauchte, um den brasilianischen Baukonzern OAS zu bevorteilen.

Moros Beweisführung dreht sich um ein Luxus-Apartment im Strandort Guarujá, das von OAS für Lula aufwendig renoviert worden sei. Im Gegenzug soll der frühere Staatschef dem Unternehmen lukrative Aufträge von Petrobras verschafft haben. Lula bestreitet aber, das betreffende Apartment jemals besessen zu haben. Und Moro konnte bislang kein Dokument präsentieren, dass dessen Eigentümerschaft eindeutig belegt.

"Es gibt keinen direkten Beweis", sagt der Rechtsgelehrte Carlos Eduardo Scheid von der Universität Rio dos Sinos. Die ganze Anklage sei ein Diskurs der Mutmaßungen und Wahrscheinlichkeiten. Trotzdem erwartet auch Scheid, dass das Urteil am Mittwoch in wesentlichen Teilen bestätigt wird. Das Gericht in Porto Alegre habe in nahezu allen bisherigen Fällen im Einklang mit Moro geurteilt.

Sollte Lula überraschend freigesprochen werden, dann stünde einem spektakulären politischen Comeback wenig im Wege. Zumindest sein Einzug in die Stichwahl gälte dann als sicher, weil es im linken Spektrum niemand mit ihm aufnehmen kann. Als sein härtester Rivale gilt derzeit der rechtsextreme Jair Bolsonaro, dessen Aufstieg aber vor allem auf seiner Hasskampagne gegen Lula basiert, zuletzt nannte er ihn "Müll".

Falls Lula am Mittwoch mit der Bestätigung des Urteils sein passives Wahlrecht verlieren sollte, müsste sich auch Bolsonaro komplett neu erfinden. Genau wie alle anderen Mitte-Rechts-Kandidaten. Insofern ist der Begriff vom "D-Day", vom Tag der Entscheidung, gar nicht so falsch. Brasilien stünde keine neun Monate vor der Wahl ohne einen halbwegs mehrheitsfähigen Präsidentschaftskandidaten da. Lula aber würde dann garantiert als politisch Verfolgter durchs Land touren - so lange, bis die Handschellen klicken.

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