Korea-Krise:Mit der Artillerie an den Verhandlungstisch

Seit dem Gefecht zwischen Nord- und Südkorea ist die Welt in heller Aufregung - und viele Fragen offen. Ist der Angriff nur eine Steigerung der üblichen Scharmützel? Was will das Regime bezwecken? Ein Überblick.

Die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, steht nach dem Zwischenfall an der umstrittenen Seegrenze zwischen Nord- und Südkorea vor der Frage, wie sie nun am besten reagiert. Schließlich kann man nur spekulieren, was Pjöngjang eigentlich will. sueddeutsche.de fasst die Erklärungsansätze zusammen.

Was ist passiert:

Bei dem Vorfall vom Dienstag wurden zwei südkoreanische Marinesoldaten und zwei Zivilisten durch nordkoreanische Granaten getötet, außerdem wurden zahlreiche Menschen verletzt. Die südkoreanische Armee erwiderte das Feuer und ist seitdem in höchster Alarmbereitschaft. Nordkorea wiederum behauptet, nur auf eine südkoreanische Grenzverletzung reagiert zu haben. Der Grenzverlauf im Bereich der Insel Yeonpyeong ist zwischen den beiden Staaten umstritten.

Welche Möglichkeiten hat der Westen?

Für US-Präsident Barack Obama ist Nordkorea das "Land der lausigen Optionen", so ein Sicherheitsexperte in der New York Times. Der Präsident kann die Aktionen Nordkoreas verurteilen, symbolische Militärübungen starten und die Sanktionen verstärken - doch diese sogenannte Strategie der Geduld hat in der Vergangenheit wenig gebracht. Reagiert er härter, riskiert er einen Krieg auf der Koreanischen Halbinsel, bei dem der Norden die Hauptstadt Seoul komplett zerstören könnte. Das Weiße Haus bekundete zunächst Solidarität. "Empört" sei Präsident Barack Obama über den Granatenhagel auf Südkorea.

Südkoreas Präsident Lee Myung Bak nannte den Beschuss von Zivilisten unverzeihlich und drohte dem Norden eine harte Bestrafung bei weiteren Aggressionen an. Jedoch ließ er gleichzeitig erkennen, dass er den Zwischenfall nicht weiter eskalieren lassen will. Auch andere Länder der internationalen Gemeinschaft, darunter Russland, Deutschland und Japan, äußern sich besorgt und kritisieren das Vorgehen Nordkoreas. Dass sie nicht recht viel mehr tun können, verdeutlicht das Dilemma des Westens im Umgang mit Pjöngjang. Seitdem das Land über Atomsprengköpfe verfügt, hat es sich unangreifbar gemacht.

Die USA kündigten indessen an, einen Flugzeugträger wie geplant zu einer gemeinsamen Militärübung in südkoreanische Gewässer zu entsenden. "Natürlich können sich die USA und Südkorea nicht vorschreiben lassen, ob sie eine Übung durchführen oder nicht", sagte Hanns Günther Hilpert von der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik zu sueddeutsche.de. Allerdings könne ein solches Manöver von Nordkorea als Provokation aufgefasst werden. "Ich halte das nicht für klug", so Hilpert.

Nordkoreas Motive

Was will Nordkorea?

Vor allem will Nordkorea mit der militärischen Aktion wohl auf sich aufmerksam machen. Choi Jin Wook, Wissenschaftler am Korea Institut für Nationale Einheit in Seoul, erklärt in der New York Times: "Washington hat Nordkorea die kalte Schulter gezeigt und Nordkorea sagt jetzt: 'Schaut her. Wir leben noch. Wir können Ärger machen. Ihr könnt uns nicht ignorieren.'"

Was das Regime damit genau bezweckt, darüber sind Experten geteilter Ansicht. Die einen sind der Meinung, die jüngste Eskalation sei gar nichts Ungewöhnliches, schließlich komme es seit Jahrzehnten immer wieder zu Scharmützeln zwischen den beiden Staaten. Es gehe Nordkorea allein um Machtdemonstration. Häufig wird auch der anstehende Wechsel in der nordkoreanischen Führung herangezogen. Hier wären die Bomben ein Versuch, Erfolgsmeldungen für den künftigen Machthaber Kim Jong Un zu kreieren.

Eine andere Interpretation besagt, dass sich Nordkorea mit seinen Granaten an den Verhandlungstisch zurückbomben will. "Das ist die Fortführung der Diplomatie mit anderen Mitteln", sagt Asien-Experte Hilpert. "Nordkorea will in den Gesprächen zweierlei erreichen: Das Regime will als Nuklearmacht anerkannt werden und eine Garantie für die Herrschaft der Kim-Familie erhalten."

Eine Nebenrolle könnte auch die Absicht spielen, eine Aufweichung der wirtschaftlichen Sanktionen zu erreichen. Diese wurden in den vergangenen Jahren verschärft, der Zugang zum internationalen Handelsverkehr abgeriegelt und der kommunistische Norden so zunehmend isoliert.

Kann Nordkorea so die Fortsetzung der Sechs-Parteien-Gespräche erzwingen?

Die USA lehnten eine Wiederaufnahme der Gespräche bislang ab und verlangen vorher Abrüstungsbemühungen und ein Ende der Provokationen. Ihnen kann es kaum gelegen kommen, wenn Nordkorea nun mit dem exakten Gegenteil neue Verhandlungen erzwingt, sich also an den Verhandlungstisch zurückbombt. Am Mittwoch einigten sich die USA und China trotzdem darauf, dass man einen Neuanlauf der multilateralen Gespräche versuchen wolle. Der Sondervermittler der USA, Stephen Bosworth, befand sich ohnehin zu Gesprächen in Peking. Anlass war die Meldung, dass Nordkorea nun auch selbst Uran anreichere.

"Die Situation hat sich umgekehrt: In der Vergangenheit war es Nordkorea, das weitere Gespräche ablehnte, während die USA und China auf eine Fortführung der Verhandlungen drängten", sagte David Shim vom Hamburger Asien-Institut zu sueddeutsche.de. Seit einigen Wochen signalisiert Nordkorea selbst, wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren zu wollen.

Dass auch China und die Vereinigten Staaten Gesprächsbereitschaft signalisieren, überrascht wenig. "Weder die USA noch Südkorea sind an einer militärischen Eskalation interessiert. Auch Nordkorea ist es wohl nicht", sagt Wissenschaftler Hilpert. "Es kann gut sein, dass es zu Gesprächen kommt, wenn auch nur um der Gespräche selbst willen." Eine grundsätzliche Lösung sieht er nicht. "An den grundlegenden Positionen hat sich nichts geändert."

Zuvor hatte der Westen Bedingungen, die er an Nordkorea für eine Wiederaufnahme der Gespräche stellte, immer wieder zurückgenommen. Nach dem Beschuss der Korvette Cheonan forderte Südkorea zum Beispiel zunächst ein Eingeständnis und eine Entschuldigung vom kommunistischen Regime im Norden, bevor weiter verhandelt werden könne. In den vergangenen Monaten rückte die südkoreanische Führung allerdings davon ab. Die offizielle Linie lautet nunmehr: Die Sechser-Gespräche und der Beschuss haben nichts miteinander zu tun.

Dem Westen bleibt nach Hilperts Ansicht auch kaum eine andere Möglichkeit, als an den Verhandlungstisch zurückzukehren: "Niemand kann Nordkorea stoppen, auch China nicht." Oft wird Peking als letzter Verbündeter des Kim-Regimes genannt und erheblicher Einfluss auf Pjöngjang attestiert. Doch der Beschuss habe auch gezeigt, dass Nordkorea ein souveräner Staat ist und unabhängig von Entscheidungen in Peking handle, so Asienforscher Shim.

Wechsel in der nordkoreanischen Führung

Welche Rolle spielt der anstehende Wechsel in der nordkoreanischen Führung?

Als Diktator Kim Jong Il in den 1990er Jahren die Macht von seinem Vater übernahm, verhielt sich Nordkorea ähnlich wie heute und provozierte mit einer Reihe militärischer Aktionen. Nun ist Kim Jong Il angeblich schwer krank und wird die Macht vermutlich in naher Zukunft an seinen Sohn Kim Jong Un übergeben. Der ist jedoch erst etwa 27 Jahre alt und verfügt über kaum militärische Erfahrung - davon abgesehen, dass er kürzlich in den Rang eines Vier-Sterne-Generals befördert wurde.

Der Granatenangriff auf die Insel Yeonpyeong soll vermutlich als erster militärischer Erfolgs des Juniors gelten und seine Glaubwürdigkeit unter Nordkoreas Militärs stärken. Nicht zufällig kommt der Angriff kurz nach der Enthüllung, dass Nordkorea mit der Anreicherung von Uran begonnen habe. Das Regime hatte eigens den amerikanischen Wissenschaftler Siegfried Hecker eingeladen, um der Nachricht vom technischen Fortschritt mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Die Urananreicherung und der Angriff auf Yeonpyeong könnten dazu dienen, dem Junior politisches Kapital zu verschaffen.

"Bislang hatte Kim Jong Un nichts mit dem Militär zu tun", sagt Asienforscher Shim. "Beim Angriff auf die Korvette Cheonan hieß es, sie sei auf seinen Befehl hin erfolgt. Er muss sich seine militärische Glaubwürdigkeit noch erarbeiten." Auch das wäre eine denkbare Lesart der jüngsten Eskalation, so Shim.

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