Korea:Kim, der Kluge

Lange Zeit galt Nordkoreas Diktator als "Irrer von Pjöngjang". Nun hat er erstaunliches diplomatisches Geschick bewiesen. Die USA und China hofieren ihn. Will er wirklich den Friedensschluss mit dem Süden? Man mag es kaum glauben. Aber es wäre eine wahrhaft historische Tat.

Von Christoph Giesen

Nordkorea ist ein Land der Zahlen und Daten. Der 25. April zum Beispiel: Tag der Armeegründung, er wird meist reduziert auf die drei Ziffern 425. Auch der 24. Dezember ist ein Feiertag, nicht etwa wegen Weihnachten, sondern weil es der Geburtstag von Kim Jong-suk ist, der Frau von Staatsgründer Kim Il-sung und Mutter von Kim Jong-il. Sie ist die Helden-Mama der Nation. Eine der wichtigsten Zahlenkombination Nordkoreas ist die 727. Sie wird verehrt als Code des Sieges.

Nur ranghohe Kader dürfen Autos mit einer 727 im Nummernschild fahren. Wer einen 727er durch Pjöngjang preschen sieht, salutiert sofort. 727, so heißt auch die Zigarettenmarke, die Nordkoreas Diktator Kim Jong-un so gerne raucht. 727, das steht für den 27. Juli 1953. Offiziell gilt das Datum als Tag des Sieges im vaterländischen Befreiungskrieg. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht.

Glaubt man den Ankündigungen nach dem ersten Treffen zwischen Kim Jong-un und Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in, dann könnte 727 bald Geschichte sein. Süd- und Nordkorea wollen den Kriegszustand bis zum Ende dieses Jahres beenden. Auch die "vollständige nukleare Abrüstung" sei geplant. Wirklich trauen mag man dem noch nicht. Beides wären wahrhaft historische Schritte.

Ruhmreich ist die Geschichte des 27. Juli 1953 in Wahrheit nie gewesen. An jenem Tag wurde das Waffenstillstandsabkommen zwischen dem kommunistischen Norden und den Vereinten Nationen unterzeichnet, seither trennt die am schärfsten bewachte Grenze der Welt die koreanische Halbinsel in zwei Hälften. Ein Todesstreifen, 248 Kilometer lang. Hinter dieser Grenze wirkte Nordkorea noch vor einigen Monaten vollkommen isoliert, es schien keine Hoffnung auf Frieden zu geben. Erst wurde Kims Halbbruder in Kuala Lumpur vergiftet, mutmaßlich ein Auftragsmord des Geheimdienstes in Pjöngjang. Dann kam der amerikanische Tourist Otto Warmbier fast hirntot aus nordkoreanischer Gefangenschaft frei, kurz nach seiner Rückkehr starb er. Zwischendurch machte Nordkorea Schlagzeilen mit einem Atombombentest und etlichen Raketenstarts. Die Angst vor einem Krieg in Nordostasien war so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

"Der Irre aus Pjöngjang" beweist erstaunliches diplomatisches Geschick

Beim Gipfel im Grenzort Panmunjom war davon nichts mehr zu spüren. Stattdessen gab es bewegende Bilder: Kim, der die Demarkationslinie überquert, die Hand von Präsident Moon ergreift und ihn kurz auf nordkoreanisches Gebiet führt - ein Schritt, den das minutiös ausgearbeitete Protokoll nicht vorgesehen hatte. Eine Überraschung, wie so vieles in den vergangenen Wochen. Weder Kims Audienz bei Chinas starkem Mann Xi Jinping noch das anstehende Treffen mit US-Präsident Donald Trump wären bis vor Kurzem vorstellbar gewesen.

Was wurde nicht alles über Kim Jong-un gespottet: Trump nannte ihn einen "Little Rocket Man", Zeitungen machten ihn zum "Irren aus Pjöngjang", und in China lautet der gängigste Spitzname: "Jin Sanpang". Kim, der Fette Nummer drei. Nichts davon wird diesem Mann gerecht. Die Welt hat Kim Jong-un und sein diplomatisches Geschick unterschätzt.

Sollten seinen Ankündigungen tatsächlich Taten folgen, könnte der 27. April in die koreanische Geschichte eingehen. Und 427 würde zum Code des Friedens.

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