Kongresswahl in den USA:Amerikas Unruhe

Die USA suchen sich noch immer nach der Hyper-Phase der Bush-Jahre, und es ist am Nachlassverwalter Obama, den Schrumpfungsprozess zu steuern. Der Präsident arbeitet an einer sanften Landung - aber eine Landung wird es am Ende sein.

Stefan Kornelius

Hier ist die gute Nachricht für den amerikanischen Präsidenten: Barack Obama hat gewonnen. Das Magazin Esquire wählte ihn gerade zum "vielleicht bestangezogenen Präsidenten seit einer Generation". Obama führt die Liste der (vor allem schlecht) gekleideten männlichen Politiker an. Viel mehr lässt sich zum Vorteil des Mannes gerade nicht sagen. Dies ist der Herbst des Missvergnügens für Barack Obama. Und am kommenden Dienstag beginnt der politische Winter.

Tea Party Demonstration

Mitglieder der konservativen Tea Party nehmen an einer Demonstration in Washington, DC, teil. Selten zuvor war ein US-Kongresswahlkampf so stark von ungewöhnlichen und exotischen Kandidaten geprägt wie in diesem Jahr.

(Foto: dpa)

Wenn die Eruptions-Demokratie Amerika wählt, dann ist das politische Spektakel gerade den Beobachtern von außerhalb des Landes fremd und gar unheimlich. Die Kongresswahl 2010 treibt diese Entfremdung auf ein neues Niveau. Der schrille Kampf um die Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senats-Plätze bietet auf den ersten Blick ein hässliches Bild vom Zustand der amerikanischen Demokratie. In sich gekehrt und reduziert auf wenige Plattheiten bewegen sich die politischen Lager in einer Scheinrealität. Die Polarisierung des Landes schmerzt inzwischen.

Die Tea-Party-Bewegung hat das Triviale zur Ideologie erhoben und treibt die etablierten Parteien in einem Unterbietungswettbewerb vor sich her. Politiker der Demokraten müssen sich rechtfertigen, ob sie nicht doch Sozialisten oder gar verkappte Kommunisten sind. Republikaner werden von der Anti-Establishment-Bewegung weggefegt.

Überfordert vom ökonomischen Druck und misstrauisch gegenüber den demografischen Verschiebungen im Land bauen die Anhänger der Tea Party eine Wagenburg und versteigen sich in eine nostalgische Verklärung eines Amerikas, das es so schon lange nicht mehr gibt. Die Tea Party ist eine Bewegung der Zornigen, ihr Zorn hat inzwischen alle politischen Lager angesteckt, und er lässt keinen Platz für Mäßigung. Wer beruhigt, der will ablenken. Der zornige Wähler aber möchte nicht abgelenkt werden, er möchte einmal wie eine Furie sein, ausmisten, hinwegfegen, aufräumen mit "den Politikern".

Das ist kein neues Motiv in der amerikanischen Politik. Barack Obama kam unter anderem deswegen ins Amt, weil er gegen Washingtoner Insider polemisierte. Dennoch ist zwei Jahre später das Maß an politischer Verdrossenheit noch gewachsen. Der Augenblick gehört dem Anti-Kandidaten, der dagegen ist, ohne selbst die Verantwortung übernehmen zu müssen für wirklich komplexe Probleme. Komplexität hat keinen Platz in dieser Auseinandersetzung. Dazu haben nicht zuletzt Fernsehen und Zeitungen beigetragen, die gerade eindrucksvoll belegen, wohin eine Nation driften kann, wenn ihre Massenmedien versagen.

Der Niedergang der Mitte

Die unmittelbaren Gründe für diesen Zornesausbruch sind offensichtlich: die wirtschaftliche Schwäche der USA, die Arbeitslosigkeit, die Angst der Mittelschicht vor ihrer ökonomischen Zukunft. Hinter der Schwäche stecken ein atemberaubend hohes Staatsdefizit, große strukturelle Verwerfungen in der Industrie, eine marode Infrastruktur und ein schlechtes Bildungswesen. Die USA sind eine kriegführende Nation, die im zehnten Jahr nach 9/11 auch einen Preis zu entrichten hat für ein grotesk unausgewogenes Staatsbudget. Und schließlich verändert sich die ethnische Struktur der USA gerade spürbar. Die Tea Party ist auch eine Bewegung des weißen Mannes, der um seine Rolle fürchtet.

All dies sind am Ende nur die Symptome für ein tiefer liegendes Problem. Obamas Absturz kann keineswegs nur mit der Jahrhundertreform im Gesundheitswesen erklärt werden, die er in Verkennung seiner politischen Kräfte im Schatten der kollabierenden Finanzindustrie durchs Parlament trieb.

Amerikas Gesellschaft ist ergriffen von der Morbus occidentalis, einem Gefühl des allgemeinen Niedergangs der westlichen Welt. Die Symptome sind Ruhelosigkeit und Selbstbezogenheit. Die Außenwelt wird nicht wahrgenommen, der Patient ist sich selbst genug. Die Infizierten teilen ein Gefühl der Unsicherheit, der Angreifbarkeit. Wirklich bedroht sind die Patienten nicht, kein physischer Feind und keine fremde Ideologie bedrängen sie. Dennoch suchen sie ständig nach äußeren Gegnern, um ihrer inneren Haltlosigkeit ein Gerüst zu geben.

Die USA sind von dieser Krankheit des Westens besonders stark betroffen. Aber auch Europas Demokratien leiden unter ihr. In Frankreich etwa ist dies zu spüren, wenn die Straße die Politik wütend herausfordert. In Stuttgart verlegen die Bürger die Demokratie auf den Bahnhofsvorplatz; und überall in Europa schwindet das Verständnis für die Mühsal demokratischer Entscheidungsfindung.

Eine ärgerliche Diät

Man muss diese Schwäche des Westens nicht dramatisieren - historische Verschiebungen im globalen Mächtegefüge kommen nicht über Nacht daher. China klopft nicht plötzlich an die Tür und verlangt die Übergabe der Schlüssel.

Dennoch spüren besonders die Amerikaner, dass sie nach einem Jahrzehnt der Überdehnung nun eine ärgerliche Diät verpasst bekommen. Die USA suchen sich neu nach der Hyper-Phase der Bush-Jahre, und es ist am Nachlassverwalter Obama, den Schrumpfungsprozess zu steuern. Der Präsident arbeitet an einer sanften Landung, aber eine Landung wird es am Ende sein. Die Gesetze der Schwerkraft gelten auch für Barack Obama und sein Land, und am kommenden Dienstag werden sie besonders unsanft wirken.

Das Bild vom decline, dem Niedergang Amerikas, ist deswegen so beliebt, weil es etwas Endzeitliches, Apokalyptisches, vermittelt, das aufrüttelt und Angst macht. Es ist jene Angst, mit der die Radikalen in der amerikanischen Politik spielen - und schon immer gespielt haben. Alle Jahrzehnte seit Barry Goldwaters Revitalisierung der Konservativen in den 1960er Jahren haben extreme politische Bewegungen erlebt oder Protestfiguren wie beispielsweise Ross Perot, der als weißer Ritter auf die Bühne trat und gegen die etablierten Kräfte aufbegehrte. Darin unterscheiden sich die Amerikaner um keinen Deut von den europäischen Brüdern, die sich auch an einer schönen Auswahl an Populisten erfreuen.

Als dieser schwarze Mann aus Hawaii mit dem muslimischen Vornamen in die amerikanische Politik kam und nach nur zwei Jahren den Thron erklomm, da wurde die Radikalität des Wandels überdeckt von der Erleichterung, die Bush-Jahre überstanden zu haben. Dafür dämmert es den Amerikanern jetzt umso mehr, wie außergewöhnlich dieser Präsident ist.

Exceptionalism, Amerikas Sonderrolle als Vorbild und Vormacht auf der Welt, prägt das Selbstverständnis der Nation, seitdem sie existiert. Jetzt, da lediglich Amerikas Schulden exzeptionell hoch sind und die Frage nach Vorbild und Vormacht neu beantwortet werden muss, hadert das Land mit sich selbst. Die sich nun abzeichnende innenpolitische Machtverschiebung ist Ausdruck dieser Unruhe. Ein decline, gar ein Absturz ist das noch nicht. Amerika schwankt lediglich.

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