Konfliktherde 2005:Störfeuer im Kaukasus

Die Machtkämpfe am Südrand Russlands nehmen zu - das ist auch die Schuld Moskaus.

Von Frank Nienhuysen

Die Sonne war noch nicht aufgegangen im neuen Jahr, da fiel im Kaukasus schon der Startschuss für 2005: Am 1. Januar um fünf Uhr morgens wurden sechs Polizisten und ein Mitarbeiter des russischen Innenministeriums im tschetschenischen Distrikt Kurtschaloj verletzt, als Unbekannte auf die Russen feuerten. Tags darauf explodierte auf einem Marktplatz in Grosny eine Granate. Hatte Kremlchef Wladimir Putin nicht erst kürzlich in Hamburg die Deutschen belehrt, der Krieg in Tschetschenien sei vorüber, seit drei Jahren schon?

Konfliktherde 2005: Schlechte Aussichten: Ein abchasischer Partisan beim Kampf um Unabhängigkeit von Georgien.

Schlechte Aussichten: Ein abchasischer Partisan beim Kampf um Unabhängigkeit von Georgien.

(Foto: Foto: AP)

Die Angriffe und die Anschläge gehen fast täglich weiter. Frieden herrscht in Tschetschenien noch lange nicht, und noch mehr gilt dies für den gesamten Kaukasus.

Reservoir an Hass

Auf der Landmasse zwischen dem Schwarzen Meer im Westen und dem Kaspischen Meer im Osten schwelen auch im 14. Jahr nach dem Ende der Sowjetunion viele ungelöste Konflikte. Tschetschenien ist dafür nur ein Beispiel, wenngleich das blutigste. In einer bizarren Abstimmung ohne wirkliche Wahl hatte Putin im vergangenen August Alu Alchanow als Nachfolger des ermordeten Präsidenten Achmad Kadyrow installieren lassen - nun bricht für ihn das erste volle Amtsjahr an, und die Chancen stehen durchaus schlecht, dass es ein ruhiges und besinnliches wird.

Der Widerstand der tschetschenischen Rebellen hat sich in der Vergangenheit schon nicht ersticken lassen, und das Reservoir an Hass und Kalaschnikows in der Region wird auch für das Jahr 2005 reichen.

Mehr noch: Der Konflikt ist komplexer geworden, gefährlicher, weil in der verarmten Nachbarschaft militante Islamisten deutlich an Einfluss gewonnen haben und eifrig ihren bewaffneten Nachwuchs rekrutieren: in Inguschetien, Dagestan, Kabardino-Balkarien, Karatschaj-Tscherkessien. Die ethnischen, religiösen und politischen Spannungen in diesen Republiken sind immens, und Moskau tut sich zunehmend schwer, seinen vibrierenden Südrand zu kontrollieren. Selbst die christlich geprägte Republik Nordossetien kommt nicht zur Ruhe, wo das Geiseldrama in Beslan gezeigt hat, wie instabil die Region ist.

Düsteres Politgefecht

Unruhig dürfte auch Michail Saakaschwili sein, dynamischer Jungpräsident im Kaukasus-Staat Georgien. Nächste Woche nämlich findet in Abchasien zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Wochen eigenmächtig eine "Präsidentenwahl" statt, obwohl Abchasien nicht so unabhängig ist, wie es sich gern erklärt. Die abtrünnige Republik wird von Moskau massiv unterstützt, gehört völkerrechtlich aber zu Georgien, und genau dies will der westlich orientierte Saakaschwili nun auch untermauern.

Nachdem er im vorigen Jahr zunächst die Provinz Adscharien wieder unter die Kontrolle der Zentralregierung gestellt hatte, versucht er dies auch mit Abchasien und Südossetien. Vor wenigen Monaten gab es Tote, und fast kam es zum Krieg. In diesem Jahr wird sich zeigen, ob Saakaschwili in der Lage ist, die Einheit Georgiens zu sichern.

Sein größter Gegner ist Russland, das mit Nachdruck um seinen schwindenden Einfluss im Südkaukasus kämpft, während die USA ihre Position am rohstoffreichen Kaspischen Meer wohl weiter ausbauen dürften. Bei der abchasischen "Präsidentenwahl" im Herbst aber hatte der Kandidat von Moskaus Gnaden zunächst überraschend verloren, woraufhin Russland gereizt Zugverbindungen stoppte, Wirtschaftssanktionen verhängte und eine Wiederholung der Wahl erreichte. Das düstere Politgefecht verlor sich im Schatten der Ukraine-Krise, doch das Gezerre in Georgien um Macht und Terrain wird bald schon wieder deutlicher werden.

Wenn das Öl fließt

Auch in Aserbaidschan ist einiges im Fluss, vor allem ab Mitte des Jahres. Dann werden durch die neue Pipeline gewaltige Mengen Öl aus dem Kaspischen Meer via Georgien in die Türkei gepumpt und damit auf den westlichen Markt - elegant an Russland vorbei. Moskau hatte das Projekt vehement bekämpft und mit militärischen Provokationen immer wieder versucht, Georgien und den Südkaukasus zu destabilisieren. Der aserbaidschanische Präsident Ilcham Alijew hat einmal gesagt, Moskau halte sämtliche Konflikte in der Region am Köcheln.

Einer davon ist der um Berg-Karabach. Zehn Jahre nach Ende des Krieges in dem Gebiet, das auf aserbaidschanischem Territorium liegt, aber mehrheitlich von Armeniern besiedelt wird, ist Karabach nach wie vor umkämpft. Alle internationalen Vermittlungsversuche, insbesondere der OSZE, sind gescheitert und in einer Art politischem Patt erstarrt. Das aber könnte sich ändern, wenn ab Jahresmitte erst das Öl fließt, die Einnahmen in Baku deutlich wachsen - und damit auch das Selbstbewusstsein.

Es wird bereits spekuliert, Aserbaidschan werde seine Armee aufrüsten und mit geschärftem Schwert deutlich aggressiver verhandeln.

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