Irak:Wachsende Angst vor neuem Bürgerkrieg

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Sunnitische Kämpfer in der irakischen Stadt Ramadi (Foto: dpa)

Mehr als 60 Aufständische wurden getötet: In der irakischen Unruheprovinz Anbar liefern sich Regierungstruppen schwere Gefechte mit al-Qaida nahestehenden Rebellen.

Von Rudolph Chimelli

Im Irak haben schwere Kämpfe zwischen sunnitischen Aufständischen und Truppen der schiitisch dominierten Zentralregierung von Premier Nuri al-Maliki Angst vor einem neuen Bürgerkrieg ausgelöst. Teile der beiden größten Städte der westirakischen Provinz Anbar, Falludscha und Ramadi, waren auch am Freitag noch unter der Kontrolle der Aufständischen, die sich zum Kommando des Islamischen Staates im Irak und an der Levante (Isil) bekennen, das dem Terrornetzwerk al-Qaida nahesteht.

Kämpfer dieser Gruppe hatten in den Vortagen die Hälfte von Falludscha und Teile Ramadis überrannt, Polizeistationen angezündet und mehr als tausend Häftlinge befreit. Angriffe von Eliteeinheiten der Regierungstruppen, die von loyalen Stammesmilizen unterstützt wurden, schlugen die zum Teil aus Syrien eingesickerten Extremisten zunächst zurück, doch flammten am Freitagnachmittag in beiden Städten neue Kämpfe auf.

Die großflächige Operation der sunnitischen Aufständischen begann, nachdem der bekannte sunnitische Abgeordnete Ahmed al-Alwani nahe Falludscha am vergangenen Sonntag auf Befehl Malikis verhaftet worden war. Er gehört der laizistischen Partei Irakija an, die von Sunniten beherrscht wird, aber auch Schiiten in ihren Reihen zählt. Bei der Schießerei, in deren Verlauf der Abgeordnete aus seinem Haus geholt wurde, kamen dessen Bruder, eine Schwester und drei Leibwächter um.

An dem Zwischenfall entzündeten sich heftige Proteste, die der Premierminister erfolglos durch die Armee zu ersticken versuchte. Wie groß die Verluste beider Seiten während der Scharmützel in den beiden Städten waren, ist noch nicht zu überschauen. Ein Milizenchef sprach am Freitag von mehr als 60 getöteten Aufständischen. Im Verlauf der Proteste erklärten 44 Parlamentsabgeordnete, vorwiegend Sunniten, ihren Rücktritt. Der Vorsitzende der Kammer muss diesen Schritt allerdings noch akzeptieren.

Der irakische Innenminister ließ auch den radikalen schiitischen Kleriker Wathik al-Batat verhaften, offenbar um die Unparteilichkeit des Regimes zu beweisen, doch das beruhigte die Stimmung nicht. Batat war der Gründer der irakischen Hisbollah, hat eine bewaffnete Gruppe Dschaisch al-Muchtar aufgestellt und ist ein lautstarker Kritiker der saudi-arabischen Monarchie. Einmal haben seine Leute ein paar wirkungslose Granaten auf das Territorium des Königreichs gefeuert. Auch das Lager der regimefeindlichen iranischen Volksmudschaheddin nahe dem Bagdader Flughafen wurde beschossen.

US-Sicherheitsexperten tief beunruhigt

Die Versuche Malikis, mit der sunnitisch-arabischen Minderheit, etwa einem Viertel der irakischen Bevölkerung, zu einem Modus vivendi zu gelangen, dürften nach den Zwischenfällen von Falludscha und Ramadi gescheitert sein. Den Sunniten fiel es nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein schwer, sich damit abzufinden, dass sie nach vier Jahrhunderten osmanischer Herrschaft, der britischen Kolonialzeit und sieben Jahrzehnten Unabhängigkeit nicht mehr das Staatsvolk waren, sondern als Folge der von den Amerikanern dekretierten Wahlen der schiitischen Mehrheit weichen mussten.

Maliki bildete seine Sicherheitsdienste und die Armee vorwiegend aus Schiiten. Jene Sunniten, die zur Zusammenarbeit mit dem Regime bereit waren, verloren ihren Rückhalt beim Wahlvolk und wurden mittels drastischer Gesetze gegen den Terrorismus kriminalisiert.

Den Höhepunkt dieser Kampagne bildete das Todesurteil gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarek al-Haschemi, der sich durch Flucht ins Ausland retten konnte. All dies bedeutete Wasser auf die Mühlen sunnitischer Extremisten und förderte den Aufstieg der Bewegung für einen Islamischen Staat im Irak und der Levante, worunter die Extremisten Syrien, Libanon und Palästina verstehen.

Im April stehen Parlamentswahlen bevor, was den Konflikt weiter anheizt. Sunnitische Abgeordnete haben Grund, sich vom System Malikis zu distanzieren. Er wiederum versucht, bei seinen Glaubensbrüdern durch verschärfte Konfrontation mit den Sunniten zu profitieren. Denn die Koalition schiitischer Parteien, die ihn an die Macht brachte, besteht nicht mehr.

Staatspräsident des Irak ist der sunnitische Kurde Dschalal Talabani. Er könnte Vermittler in der Krise sein, ist aber wegen einer Dauererkrankung in Deutschland in Behandlung. US-Sicherheitsexperten, die sich auch nach dem Abzug der amerikanischen Truppen, mit dem Zerfall der Strukturen im Irak befassen, sind tief beunruhigt, vor allem durch das Anwachsen des Einflusses von al-Qaida in der Region. Sie studieren die Möglichkeit, extremistische Kampfgruppen sowohl im Irak wie auch in Syrien mit Drohnen zu attackieren. Auch beschleunigen die USA ihr Rüstungsprogramm für die irakischen Streitkräfte.

75 Luft-Boden-Raketen vom Typ Hellfire sind kürzlich vor dem ursprünglich gesetzten Termin geliefert worden. Zehn Aufklärungsdrohnen des Typs Scan Eagle sollen folgen. Die ersten 18 Kampfflugzeuge von Typ F-16 sollen im Herbst in Händen der irakischen Luftwaffe sein. Der Informationsaustausch Washingtons mit Bagdad ist intensiv.

© SZ vom 04.01.2014/ter - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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