Konflikt in der Ukraine:Wie Putin mit den Opfern spielt

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Eine Bewohnerin von Donezk geht an einem zerstörten Haus vorbei.

(Foto: AFP)

Der Kreml schickt auf eigene Faust einen Hilfskonvoi zu den belagerten Menschen in der Ostukraine. Wenn Kiew ihn stoppt, zieht das die Wut vieler Menschen auf sich. Und genau das bezweckt Präsident Putin.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Ist der Streit um Hilfe für die Ostukraine eine Posse - oder doch ein Drama? Hunderttausende Menschen leben in den Bezirken Lugansk und Donezk in permanenter Existenzangst, viele ohne Wasser und Strom, ohne Nahrung und Medizin. Verwandte, Freunde sind längst geflüchtet; wer geblieben ist in der Kampfzone, in der sich die ukrainische Armee einerseits und prorussische Separatisten mit der Unterstützung russischer Söldner andererseits seit Wochen bekriegen, der ist entweder zu alt, zu schwach oder zu arm.

Nun gibt es einen Wettlauf darum, wer als Erster die dringend nötige Hilfe in den Donbass schickt - Moskau (weitgehend im Alleingang) oder Kiew (unter Beteiligung westlicher Partner), in beiden Fällen unterstützt vom Internationalen Roten Kreuz. Schon vor wenigen Tagen hatte die russische Regierung überfallartig einen ersten Konvoi Richtung Ukraine entsandt, was man dort als Bedrohung und kriegerischen Akt empfand. Hatte Moskau nicht in den vergangenen Monaten ständig Waffen geliefert und das ständig dementiert? Nun sollte sich Putin plötzlich als Friedensfürst inszenieren wollen? Die Skepsis war nachvollziehbar, die Grenzen blieben dicht für die unangekündigte Aktion.

Der Kreml setzt auf einen Propagandasieg - wohl mit Erfolg

Andererseits wäre es überaus verständlich, wenn Moskau tatsächlich helfen wollte. Die Lage in Lugansk ist katastrophal, der Dank wäre den Russen gewiss. Und bis sich EU, USA, Rotes Kreuz und die empfindlichen Ukrainer auf eine gemeinsame Aktion einigten, würde das Leid weitergehen. Schnelle Hilfe tut aber not.

Eine ausweglose Situation? Keineswegs. Auch im Kreml kennt man die grundlegenden Regeln der Diplomatie, man kennt die notwendigen Telefonnummern und Ansprechpartner. Ein Konvoi steht zur Abfahrt bereit? Großartig. Das Rote Kreuz soll ihn begleiten? Noch besser. Kiew soll zustimmen und eingebunden werden? Wenn die Bedingungen klar sind, bitte sehr. Die Initiative wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen für vertrauensbildende Maßnahmen und eine Selbstinszenierung Putins als rettender Engel.

Viele Beschimpfungen

Es darf vermutet werden, dass das nicht oberste Priorität der russischen Überraschungsaktion war. Sonst hätte der Außenminister nicht von Absprachen geredet, die es gar nicht gab, sonst wäre der Konvoi nicht losgeschickt worden, ohne irgendjemanden zu informieren. Der Kreml setzt offenbar auf einen Propagandasieg, und der sieht so aus: Wir reden nicht nur, wir handeln. Wir stellen die Welt vor vollendete Tatsachen. Wir tun so, als würden wir kommunizieren, folgen aber nur unserem eigenen Plan. Wenn dann die Lastwagen mit den dringend benötigten Hilfsgütern an der ukrainischen Grenze stranden, liegt der Schwarze Peter beim Gegner.

Das funktioniert. Schon sind die sozialen Netze voll von Beschimpfungen: Die Kiewer Faschisten planten den Massenmord an der russischstämmigen Bevölkerung, heißt es da, diese solle verhungern, obwohl Moskau sie retten könne. Wie immer sind die Dinge komplizierter. Aber Putins Rechnung ist gerade dabei aufzugehen.

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