Konflikt auf der koreanischen Halbinsel:Chinas Furcht vor Nordkoreas Kollaps

Kim Jong Un bändigen können nur die Machthaber in Peking: Nordkoreas Wirtschaft hängt nahezu komplett von China ab. Doch einen Niedergang des Landes will die chinesische Regierung unbedingt vermeiden - nicht nur aus ökonomischen Gründen.

Von Christoph Giesen

Wie die Zeiten sich doch gleichen: 60 Jahre nach der Gründung der Volksrepublik China hatten die Genossen in Peking und Pjöngjang 2009 zum chinesisch-nordkoreanischen Freundschaftsjahr erklärt. Ende März kam damals eine fast hundertköpfige nordkoreanische Delegation nach Peking, angeführt vom Premierminister, der seinen erkrankten Diktator vertrat. Bankette wurden veranstaltet, Reden gehalten, der Reisschnaps floss. Ein paar Tage später: die Ernüchterung. Am 5. April feuerten die koreanischen Genossen eine Rakete ab. Die Propaganda vermeldete einen Erfolg, die Rakete sei in den Orbit eingetreten und funke nun das "Lied des General Kim Il Sung" zur Erde.

Als Nordkorea gut einen Monat später seine zweite Atombombe testete, war der chinesischen Führung endgültig nicht mehr in Freundschaftsjahr-Laune. Die Lage sei verfahren, wie seit langem nicht mehr, selbst einen Krieg auf der Halbinsel wolle er nicht mehr ausschließen, analysierte damals der einflussreiche Koreaspezialist Zhang Liangui von der Parteihochschule in Peking und löste damit in der Volksrepublik eine Debatte aus, die bis heute anhält. Soll China Nordkorea weiter unterstützen oder Nordkorea endlich stärker unter Druck setzen?

Inzwischen hat sich die Situation sogar noch zugespitzt. Nordkorea hat einen dritten Atomtest absolviert. Der neue Diktator in Pjöngjang hat die Telefondrähte nach Süden kappen lassen und droht unverhohlen mit Krieg. Wird China nun endlich seine Nordkorea-Politik überdenken?

Die Kader in Peking stützen den Rüpel aus Pjöngjang

Fest steht: Egal wie viele Kriegsschiffe die amerikanische Marine auffahren lässt, wie regelmäßig die US-Armee Militärübungen abhält oder welche Resolution der UN-Sicherheitsrat verabschiedet - Kim Jong Un bändigen, das können nur die Machthaber in Peking. Ein Blick auf die ökonomischen Daten verrät, warum: Nordkoreas Wirtschaft hängt nahezu komplett von China ab. 90 Prozent des Öls liefert der Nachbar. 80 Prozent der Konsumgüter und fast 50 Prozent der Nahrungsmittel werden über die Grenze geschafft. Binnen weniger Monate könnte China Nordkorea zum Implodieren bringen. Doch will China das?

Auffällig ist, dass die Kader in Peking kritischer auftreten, als noch vor wenigen Jahren, trotzdem stützen sie den Rüpel aus Pjöngjang noch immer. Denn einen Kollaps Nordkoreas kann sich China derzeit aus ideologischen, sicherstrategischen und ökonomischen Gründen nicht leisten.

Pjöngjang ist keine Geisterstadt mehr

Nordkorea und China stünden einander so nahe, wie die Lippe zu den Zähnen, sagte einst Premier Zhou Enlai, Chinas außenpolitischer Vordenker. In den Fünfzigerjahren entwickelte er die Theorie der "fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz". Bloß nicht einmischen, ist seit vielen Jahren oberste Doktrin der chinesischen Außenpolitik. Die Volksrepublik respektiert die Souveränität anderer Staaten, und verbittet sich im Gegenzug die Einmischung in innere Angelegenheiten: Wann immer Kritik an der Tibet-Politik aufkommt oder westliche Politiker Menschenrechtsfragen diskutieren, reagieren die Genossen. Unwahrscheinlich, dass Chinas Kader gegen die eigene Doktrin verstoßen, um in Nordkorea für einen Regimewechsel zu sorgen.

Zudem stemmt sich die konservative Volksbefreiungsarmee vehement gegen eine veränderte Nordkorea-Politik. Im Falle einer Wiedervereinigung stünden amerikanische Truppen am Grenzfluss Yalu - für chinesische Generäle eine Horrorvision.

Auch aus ökonomischen Gründen hält China den Nachbarn am Leben, schließlich dürfte eine Wiedervereinigung Südkorea viel Geld kosten - mit negativen Folgen für den südkoreanisch-chinesischen Handel. Als ein mahnendes Beispiel dient Politikern in der Region die deutsche Einheit: Das westdeutsche Bruttoinlandsprodukt war zum Zeitpunkt des Mauerfalls in etwa dreimal so hoch wie das der DDR. In Korea besteht ein Süd-Nord-Gefälle von fast 18:1. Um die koreanische Wirtschaft auf ein Vergleichbares Verhältnis wie 1990 in Deutschland zu bringen, müsste sich Seoul nach Schätzungen mit mindestens 1,2 Billionen Dollar neu verschulden. Allenfalls sachte versuchen Chinas Genossen deshalb, Nordkorea von einer wirtschaftlichen Öffnung zu überzeugen. Regelmäßig laden sie zu Touren in die eigenen Boomregionen ein, ins Perlflussdelta oder nach Shanghai.

Die Eliten wollen genauso leben, wie in China oder Südkorea

Lange waren das vergebliche Mühen, doch wer dieser Tage nach Pjöngjang reist, sieht eine andere Stadt als noch vor wenigen Jahren. Als Kim Jong Il, der alte Diktator, noch lebte, war Pjöngjang eine Geisterstadt: Kein Verkehr auf den Straßen, auf der Autobahn nach Süden konnte man problemlos picknicken, so selten fuhr ein Fahrzeug vorbei, nachts war es stockfinster, nur die rote Fackel auf dem Jucheturm flackerte. Heute blinkt und funkelt es, auf den Straßen fahren Autos aus Deutschland und Japan. Der neue Wohlstand in Pjöngjang ist ein Zugeständnis an die Eliten des Landes.

Sie dürfen Handel mit China treiben und werden reich. Spätestens seit Kim Jong Un an der Macht ist, experimentiert das Regime mit wirtschaftlicher Öffnung. Und das muss es wohl auch. Die Eliten wollen genauso leben, wie in China oder gar in Südkorea. Die ökonomischen Versuche sind überlebenswichtig und doch brandgefährlich für das Regime. Im Gegensatz zu Chinas Reformer Deng Xiaoping, der einen radikalen Kurswechsel vollziehen konnte, weil Mao Zedong tot war und die Viererbande im Gefängnis saß, muss Kim Jong Un als Erbe einer kommunistischen Dynastie jeden Schritt genau abwägen, jede Veränderung kann ihm als Kritik an seinem Vater oder dem allmächtigen Staatsgründer, Großvater Kim Il Sung, ausgelegt werden und zu Verwerfungen führen. Und genau davor fürchtet sich China.

Im Falle eines Kollapses fürchtet Chinas Führung, dass einige Hunderttausend, wenn nicht sogar Millionen Nordkoreaner in den chinesischen Nordosten flüchten werden: Hungrige, Frustrierte, vielleicht sogar in Kämpfen Verwundete. Dazu wahrscheinlich noch jede Menge bewaffnete nordkoreanische Soldaten. Das könnte wiederum zu sozialen Spannungen in China führen. Und davon haben die Machthaber in Peking nun wahrlich genug.

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