Konferenz 2016:Die Rückkehr der alten Leiden

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Das Treffen der Außenpolitiker aus aller Welt in München dient dem Dialog. Aber reicht das heute noch?

Von Hubert Wetzel

Man sollte in historischen Dingen vorsichtig sein mit Superlativen. Deshalb gleich zu Beginn: Nein, wir leben derzeit nicht in den unsichersten Zeiten. Verglichen mit den finsteren Jahren, in denen potenziell jeder Kleinkrieg zu einem Schlagabtausch zwischen den vor Atomwaffen starrenden Mächten Amerika und Sowjetunion eskalieren konnte, ist das heutige Tableau an Krisen überschaubar und zudem weniger gefährlich.

Und dennoch: Man muss schon einige Jahrzehnte zurückgehen, um eine Zeit zu finden, in der so viel Unsicherheit herrschte wie heute. Das mag daran liegen, dass plötzlich wieder Konflikte aufgebrochen sind, die man für längst beigelegt und - wie den Eisernen Vorhang und die Angst vor Panzerarmeen im Fulda Gap - für Relikte des Kalten Krieges gehalten hatte. Niemand hätte vor einigen Jahren ernsthaft behauptet, dass von Russland wieder eine militärische Gefahr für Europa ausgehen könnte; diejenigen, die dieses - aus Weisheit oder Sturheit sei einmal dahingestellt - trotzdem behaupteten, galten zu Recht als Paranoiker.

Und doch ist es so. Die Nato, die zum Nachweis ihrer Existenzberechtigung für viele gar nicht schnell genug out of area gehen konnte, denkt wieder über eine russische Aggression nach. Immerhin: Als vor einigen Monaten ein türkischer Kampfjet einen russischen abschoss, es mithin zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen einem Nato-Staat und Russland kam, behielten alle Beteiligten kühlen Kopf. Das war in all der Aufregung dann doch beruhigend.

Die neue Unsicherheit mag aber auch darin begründet sein, dass die aktuellen Bedrohungen weniger klar fassbar sind als früher. Wie wehrt man sich denn gegen Terroristen, die einem imaginären "Kalifat" im Nahen Osten anhängen und im Namen ihres Gottes an einem Herbstabend durch Paris ziehen und Menschen in Cafés und Klubs hinrichten? Dass dieses Phänomen existiert, ist ja schon absurd genug. Dagegen schützen kann man sich als normaler Bürger aber kaum, es sei denn, man verkröche sich.

Die Flüchtlingskrise ist noch schwerer zu greifen. Viele Menschen empfinden den ungeregelten Zustrom von in vielerlei Hinsicht fremden Menschen als Bedrohung. Sie haben das Gefühl, ihr Staat habe die Lage nicht im Griff. Doch die Antwort des Staates auf das Problem ist noch weit schwieriger als im Falle von Terroristen. Gegen die können Geheimdienste, Polizei und Armee vorgehen. Aber gegen Frauen und Kinder, die vor Fassbomben und Giftgas fliehen?

Es ist (zum Glück) für die meisten Menschen eben keine Option, Notleidende auf dem Balkan verhungern oder im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Grenzen zu schließen und gar mit Waffengewalt zu verteidigen lehnt die Mehrheit der Deutschen aus politischen und moralischen Erwägungen ab, und das ist richtig. Doch gelöst ist das Problem damit ja nicht, es wird sogar immer größer. Man steht fassungslos da und sieht zu, wie ein in Jahrzehnten mühsam errichtetes Europa binnen wenigen Monaten zerbröselt; wie eine Partei voller Angsthasen und Angstmachern über Nacht zur drittstärksten Kraft in Deutschland wird. Wie soll einem da nicht bange werden?

Die Münchner Sicherheitskonferenz, die an diesem Wochenende wieder tagt, wird keines dieser Probleme lösen. Viele einflussreiche Menschen werden dort miteinander reden - über die Ukraine, über Syrien, über Terrorismus, über die Flüchtlinge. Das ist nicht falsch, denn Dialog ist allemal besser als kein Dialog. Ernüchternd ist aber vielleicht, dass es ja am Dialog in den vergangenen Monaten nicht gemangelt hat. Man hat in Wien und in Genf über ein Ende des Syrien-Konflikts gesprochen, man hat in Minsk über den Donbass gesprochen und in Brüssel über die Verteilung von Flüchtlingen. Was stets fehlte, war der politische Wille zur Einigung. Den kann auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz niemand herbeizaubern. Und das ist dann eine zutiefst beunruhigende Aussicht: Es gibt Regierungen und Regime, die zur Fortsetzung ihrer Politik mit größter Selbstverständlichkeit wieder zum Krieg als Mittel greifen. Und sie kommen damit durch.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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