Kommunen:Über dem Limit

135 000 - so viele Flüchtlinge kamen allein in den ersten Septemberwochen nach Bayern. Zu viele, sagen Städte, Kreise und Gemeinden. Sie bedrängen die Vorsitzenden von CSU und CDU, sie nun endlich zu entlasten.

Von Daniela Kuhr

Diese Zahl steht für das Problem wie kaum eine andere: 135 000. So viele Flüchtlinge sind in den ersten drei Septemberwochen in Bayern angekommen. Nur in Bayern, wohlgemerkt. Kein anderes Bundesland musste sich um derart viele Neuankömmlinge kümmern. Wenn man gleichzeitig bedenkt, wie stolz die EU-Mitgliedstaaten vor wenigen Tagen darauf waren, dass es ihnen gelang, sich über die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen in Europa zu einigen, dann kann man nur zu dem Schluss kommen: Diese Einigung ist kein Durchbruch gewesen. Aus bayerischer Sicht zumindest ist sie - angesichts der Größe des Problems - ein Witz.

Man wirft der CSU gern vor, die Dinge zu übertreiben, zuzuspitzen, weil Gepolter nun mal zu ihrem Markenkern gehört. Wenn aber Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in den vergangenen Tagen mit ernster Miene von der "Dramatik der Lage" gesprochen hat, von einem "gigantischen Problem" und "kollektivem Staatsversagen", dann ging es ihm nicht darum zu poltern - sondern wachzurütteln. Er hat das Gefühl, dass längst noch nicht alle Politiker in Deutschland die Dimension dieser Aufgabe, die jetzt bewältigt werden muss, erkannt haben.

Bürgermeister und Landräte haben Seehofer in den vergangenen Tagen regelrecht bedrängt, Wege zu finden, den täglichen Zuzug von immer neuen Flüchtlingen zu reduzieren. Der Ministerpräsident steht unter Druck. Die Kommunen erwarten von ihm, dass er ihre Probleme löst. Bayern selbst kann allerdings nicht viel machen. Die Grenzkontrollen jedenfalls, die auf Initiative von Bayern wieder eingeführt wurden, haben das Problem nur verlagert. Jetzt kommen nicht mehr am Münchner Hauptbahnhof täglich gut 5000 Flüchtlinge an, dafür aber in den Gemeinden an der österreichischen Grenze.

Dort sind die Kommunen mittlerweile äußerst belastet. Deshalb erreichte das Bundeskanzleramt vor wenigen Tagen ein fast schon verzweifelter Hilferuf. Bayern habe seit Monaten "die Hauptlast der Aufgabe zu schultern", schrieb der Präsident des bayerischen Landkreistags, Christian Bernreiter (CSU), an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Was Unterbringung, Versorgung, Weiterleitung und Integration der Flüchtlinge anbelange, sei man "über dem Limit". Sie möge doch bitte so schnell wie möglich nach Bayern kommen und sich dort selbst ein Bild machen. "Alle sind schon mehr als an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit", schrieb Bernreiter.

Die Kanzlerin reagierte prompt. Zwar kommt sie nicht nach Bayern, dafür aber dürfen Bernreiter und zwei weitere Vertreter der kommunalen Spitzenverbände an diesem Montag in Berlin zwei Stunden mit Merkel sprechen. Ob er ihr da auch das vorwerfen wird, was Seehofer die vergangenen Tage wieder und wieder beklagt hat, nämlich dass ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, ein Fehler war? Es bringe nichts, zurückzublicken, sagt Bernreiter. Stattdessen wolle er der Kanzlerin "eindrücklich" die Lage in den Kommunen schildern: "dass wir an der Belastungsgrenze sind und nicht mehr weitere Flüchtlinge drauf gepackt bekommen können".

Es sind übrigens nicht nur CSU-Politiker, die allmählich verzweifeln. Der Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak (Grüne) beklagt, dass gerade die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge enorm viel Kräfte binde. Insgesamt müsse sein Landkreis wegen der zusätzlichen Personalkosten für Flüchtlinge 4,5 Millionen Euro aufbringen, "die mir weder Bund noch Land ersetzen". Und der Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier versagte die Stimme, als sie wegen der hohen Belastung der Helfer sagen musste: "Wir stemmen es nicht mehr."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: