Kommunalwahl in Italien:Der Mann, der Beppe Grillo die Stirn bietet

Kommunalwahl in Italien: Federico Pizzarotti vor einer Projektion von Beppe Grillos Profil

Federico Pizzarotti vor einer Projektion von Beppe Grillos Profil

(Foto: imago stock&people)

Federico Pizzarotti ist seit fünf Jahren Bürgermeister von Parma. Seitdem er sich mit dem Chef der Protestpartei Cinque Stelle überworfen hat, ist er ein landesweiter Star - und tritt nun als Parteiloser wieder an.

Von Oliver Meiler, Parma

Wie benommen liegt Parma in der Nachmittagssonne. 38 Grad, auch um 16 Uhr noch. Da vorne, auf einer Bank der großen und schönen Piazza Garibaldi, sitzt Federico Pizzarotti, 43 Jahre alt. Er schwitzt nicht, obschon an seinem hellblauen Hemd nur der oberste Knopf offen ist. Er lächelt sein Wahlkampflächeln, lässt Selfies mit sich machen, ermuntert die Zweifelnden. "Fast geschafft", sagt er, "zwei Tage noch." Gleich kommt das Fernsehen, Rai News 24. "Wie soll ich mich hinstellen?"

Seit fünf Jahren ist Pizzarotti schon Bürgermeister von Parma, er ist jetzt ein Star. Gewählt wurde er einst als Kandidat der Cinque Stelle, der Protestpartei von Beppe Grillo. Nun bewirbt er sich für ein zweites Mandat, diesmal aber alleine, ohne die Fünf Sterne, die haben ihn aus der Partei ausgeschlossen. Er ist trotzdem der Favorit, oder vielleicht ist er es gerade deshalb. Im ersten Wahlgang gewann er von allen Kandidaten am meisten Stimmen, 35 Prozent ohne Parteihilfe. In der Stichwahl am Sonntag misst er sich mit dem netten, aber etwas profillosen Ingenieur Paolo Scarpa, 60 Jahre alt, der vom sozialdemokratischen Partito Democratico getragen wird. Die Cinque Stelle dagegen sind nicht mehr dabei: Drei Prozent schaffte ihr Mann nur, eine Schmach sondergleichen.

Bis heute trauern die Parmigiani den Zeiten jener Grandezza nach

Es ist eben alles gerade etwas kompliziert bei den Sternen, ausgerechnet wegen Parma. Als Pizzarotti 2012 die Wahlen gewonnen hatte, sagte Grillo mit der ihm ganz eigenen Emphase: "Wir haben Stalingrad erobert, nun ziehen wir nach Berlin." Mit Berlin meinte er Rom, die Regierung des Landes. Parma war der bis dahin größte Erfolg in der jungen Geschichte seiner Cinque Stelle, die Genesis des Aufstiegs. Angetrieben von einem Clown. Die gesamte Weltpresse reiste in die Stadt, um davon zu künden. Die Fünf Sterne waren damals ja Avantgarde für ähnliche Bürgerbewegungen, die bald anderswo in Europa entstehen sollten - aufregend und frisch.

Und Pizzarotti war ein wunderbares Beispiel dafür, idealtypisch schier. Er kam aus dem Nichts und machte eine klassische Fünf-Sterne-Karriere. Ein Bankinformatiker mit einer Leidenschaft für Hausrobotik, völlig unbekannt und ohne jede politische Erfahrung, schwang sich da einfach mal so an die Spitze einer alten, eleganten, stolzen Stadt mit 200 000 Einwohnern und viel Geschichte. Als Marie Louise von Österreich das Herzogtum Parma regierte, von 1814 bis 1847, sah man sich als "kleine Hauptstadt".

Bis heute trauern die Parmigiani den Zeiten jener Grandezza nach und halten sich am weltbekannten Gastronomischen fest, am Schinken natürlich. Und etwas frevlerisch auch am Käse, dem Parmesan, der so heißt, als käme er aus Parma, in Wahrheit aber aus der Umgebung der rivalisierenden Nachbarstadt Reggio Emilia kommt. Die großen Komponisten Giuseppe Verdi und Arturo Toscanini stammten beide aus Parma. Das ist lange her. Doch man feiert sie, wann immer möglich, mit großen Festivals und lauschigen Abenden.

Vor fünf Jahren war die Stadt einfach zu nehmen. Viele hätten nicht für ihn gestimmt, sagt auch Pizzarotti, sondern gegen die anderen, die Linke wie die Rechte. "Die Leute sagten sich: 'Versuchen wir es mal mit dem." Parma lag am Boden, unter einem Berg von Schulden, 800 Millionen Euro, und war durchzogen von Affären und Skandalen. Grillo erkannte die Chance und half Pizzarotti im Wahlkampf. Er kreiste um die Zukunft einer neu erstellten, umstrittenen Verbrennungsanlage im Osten der Stadt. Die Cinque Stelle waren dagegen. Sie versprachen den Parmigiani, dass die Anlage niemals in Betrieb genommen würde. Grillo rief den Wählern zu: "Nie, nie, nie - nur über Pizzarottis Leiche."

Pizzarotti ließ das Monster frei

Als der dann gewählt war und die Parolen mit dem Alltag kollidierten, war plötzlich alles anders. Pizzarotti ließ das Monster frei. Bald lief die Anlage mit maximaler Kraft und verbrennt nun 140 000 Tonnen Müll im Jahr. "Die Realpolitik hat mich schnell eingeholt", sagt er. Noch immer ist nicht ganz klar, ob es dieser Wortbruch war, der Grillo und "Capitan Pizza", wie er ihn fortan boshaft nannte, auseinander trieb.

Jedenfalls ging es nicht lange, und die beiden waren Intimfeinde. "Er mochte meine Unabhängigkeit nicht", sagt Pizzarotti. Bereits am Tag nach dem Wahlsieg verbat sich Grillo, dass sein Sensationsmann aus Parma im nationalen Fernsehen auftrat. "Ich war anders", sagt Pizzarotti, "ich redete höflich, äffte Grillo nicht nach, brüllte also nicht 'Vaffanculo!' (Leck mich am Arsch!), wie das damals populär war."

So lieferten sich "Capitan Pizza" und der frühere Komiker eine lange Fehde. Pizzarotti wurde zum "Anti-Grillo", ein Label, das ihn zur politischen Persönlichkeit von nationaler Bedeutung machte. "Von allen Exponenten der Partei", sagt Michele Brambilla, der Chefredakteur der Gazzetta di Parma, "war Pizzarotti der einzige, der es wagte, dem Chef entgegenzutreten und ihn herauszufordern." Zwei unbescheidene, unvereinbare Egos prallten da aufeinander.

Im vergangenen Herbst wurde der "Häretiker", wie man ihn nun auch nannte, weil er pragmatisch regierte und die verbalen Kapriolen der Oberen kritisierte, aus der Partei geworfen. "Wenn du nicht alles treu mitträgst", sagt Pizzarotti, "dann sagen sie dir: 'Pass auf, wir stellen dich nicht mehr auf, wir schließen dich aus, wir stellen dich an den Pranger'." Darum seien jetzt alle still.

Sein Rauswurf, einer von vielen, war ein besonders bitteres Opfer für die Cinque Stelle. Denn Pizzarotti war unterdessen zu einem der beliebtesten Bürgermeister im Land geworden. Obschon die Mittel knapp waren, machte er seinen Job gut. Das bescheinigen ihm nun alle. Die Hälfte der Schulden ist schon weg. Unter ihm ist das große Opernhaus Teatro Regio, das zu einer Provinzbude verkommen war, wieder aufgeblüht. Unlängst ist auch Parma Calcio, der einst glorreiche Fußballverein, wieder in die zweite Profiliga aufgestiegen, nachdem er pleite gegangen war und in die vierte Liga verbannt wurde. Dafür kann Pizzarotti zwar nicht viel, jedenfalls nicht fußballerisch. Doch die Renaissance des geliebten Klubs gereicht nun zum schönen Mythos des Neuanfangs.

Ob er die Wiederwahl schafft, ist dennoch nicht klar. "Pizzarotti ist ein fähiger und gescheiter Mann", sagt der Journalist Brambilla. Er habe gezeigt, dass er auch ohne Partei im Rücken viele Stimmen gewinne. Doch er neige dazu, schroff zu sein, mit Kritik akzeptiere er nur mit Mühe. Das habe ihn viel Gunst gekostet.

Die erste Schlacht, die für die Eroberung, war einfacher gewesen. Stalingrad eben. Da wirkte das Neue, diese Frische aus dem Nichts. Nun geht es auch um eine persönliche Vendetta, gegen Grillo. Wenn die Cinque Stelle einmal national an die Macht kommen sollten, sagt Pizzarotti, dann sei die Luft ganz schnell raus. "Wo sollen sie nur all die Minister herholen, die es braucht, wo hundert Staatssekretäre, hundert Kabinettschefs, fünfzig Manager für die Staatsbetriebe?" Loro, sagt er, "sie". Der Sensationsmann aus Parma klingt jetzt so, als wäre er selber nie dabei gewesen.

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