Kommentar zur Niedersachsen-Wahl:Und die SPD lebt doch noch

In Niedersachsen schöpfen die Sozialdemokraten neue Kraft. Die CDU muss einen kleinen Nackenschlag einstecken. Grüne und FDP verlieren, doch die Ränder bleiben klein. Kein schlechter Ausgang für das Zusammenleben in Deutschland.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Mögen Sozialisten und Sozialdemokraten sonst wo in Europa ins Bodenlose stürzen - der SPD ist das erst mal erspart geblieben. Nur drei Wochen nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl ist die Partei zurück: Die Sozialdemokraten dürfen in Hannover so etwas wie einen zweiten Frühling im Spätherbst genießen.

Schier aussichtlos lagen die Genossen in Niedersachsen noch vor ein paar Wochen zurück. Nun sind sie ganz vorne und werden wohl auch in den kommenden Jahren den Ministerpräsidenten stellen. Selbst wenn es am Ende trotz eines satten Zuwachses für die SPD nicht zu einer Fortsetzung der rot-grünen Regierung reichen sollte, kann man von einem kleinen Triumph der Sozialdemokratie sprechen.

Nun mag das in erheblichem Maße am Vertrauen in den Ministerpräsidenten Stephan Weil liegen. Aber es gibt offensichtlich in Deutschland auch ein Bedürfnis, politische Ausschläge nicht zu hart, nicht zu scharf werden zu lassen. Es gibt ein tief sitzendes Interesse, Extremen nicht zu viel Raum zu geben. Und es gibt offenkundig den Wunsch, die politischen Kräfte immer wieder auszutarieren. Vielleicht ist auch das eine Folge der deutschen Geschichte. Sollte es der zentrale Grund sein für dieses Ergebnis, dann ist das eine gute Botschaft für Deutschland. Noch dazu in Zeiten, in denen die AfD in den Bundestag einzieht.

Eines freilich sollte sich ein sicherlich an diesem Abend glücklicher Martin Schulz nicht erlauben: Er sollte das Wahlergebnis nicht als neuen großen Vertrauensbeweis in seine Person uminterpretieren.

Schulz Resultat liegt noch immer bei 20,5 Prozent

Der Wunsch, es so tun zu könne, ist natürlich mehr als verständlich. Trotzdem ist dieses Ergebnis keines, das der Parteivorsitzende sich allzu laut auf die eigene Fahne schreiben sollte. Die zwanzig Prozent vor drei Wochen - das ist sein Resultat, und dabei wird es erst mal bleiben. Zumal im Nachhinein bekannt wurde, wie er - trotz aggressivster Attacken gegen Angela Merkel - selbst beinahe lustvoll unkonkret bleiben wollte im Bundestagswahlkampf.

Geholfen hat der SPD dagegen, dass deutlich mehr Menschen als ursprünglich erwartet den Auslöser für die vorgezogenen Wahlen in Niedersachsen nicht als Scheitern des Ministerpräsidenten, sondern als Verrat einer Abgeordneten empfunden haben. Nur zu Beginn konnte die CDU vom Wechsel einer Grünen-Politikerin zur CDU-Fraktion profitieren.

Das Ende der Ära Merkel ist eingeläutet

Doch dann schmolz der Vorsprung der Christdemokraten sehr schnell dahin. Das dürfte auch eine Reaktion sein auf die fortwährenden Streitereien und Schlichtungsversuche zwischen CDU und CSU in Berlin. Auch nach der sogenannten Einigung über die Flüchtlingspolitik werden CDU und CSU nicht mehr wie Blutsbrüder wahrgenommen, sondern wie verfeindete Schwestern, die sich nicht mehr über den Weg trauen. Dieser Schaden ist noch lange nicht überwunden.

Aus diesem Grund wird auch dieser Wahltag seinen Beitrag dazu leisten, dass die vierte und letzte Amtszeit von Angela Merkel nicht die einfachste sein wird. Vor vier Jahren durfte sie die knapp 42 Prozent bei der Bundestagswahl als großen Vertrauensbeweis verstehen; inzwischen muss sie die Ergebnisse vom Bund und von Niedersachsen als Signal dafür lesen, dass die Union sich dem Ende einer Ära nähert: der Ära der Kanzlerin Angela Merkel.

Die Botschaft der Wähler

Gleichwohl hält das Niedersachsen-Ergebnis nicht nur für die Großen eine Botschaft bereit. Ausgerechnet die Wahlsieger im Bund, die FDP und die AfD, müssen schnell lernen, dass Erfolg auch ganz schnell Grenzen hat.

Die Resultate für Grüne und FDP, die beinahe im Gleichklang in den Landtag einziehen werden, können überdies als Ruf nach Vernunft und einem ernsthaften Versuch der Zusammenarbeit gewertet werden. Tut was, versucht es, seid vernünftig, provoziert keine überflüssigen Streitereien und kein billiges Scheitern - so kann man das lesen, was die Wähler den beiden für den Bund wie für Hannover mit auf den Weg geben.

Eine besondere Würze, ja ein sehr positives Moment erfährt das Ergebnis durch die Tatsache, dass die Extreme, vor allem die AfD, eher mau abschneiden. Jedenfalls für ihr Selbstverständnis und ihren Anspruch ist die AfD ziemlich im Keller geblieben. Und die Linke hat es aller Voraussicht nach wieder nicht in den Landtag geschafft. Drei Wochen, nachdem im Bund die Ränder mächtig Eindruck gemacht haben, sind sie auf Kleinformat geschrumpft geworden. Das ist kein schlechter Wahlausgang für den Zusammenhalt in Deutschland.

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