Kommentar:Staatsnotar in Nöten

Nie war die Ausfertigung eines Gesetzes durch den Bundespräsidenten so umkämpft: Es zeichnet sich ein Organstreit ab.

Heribert Prantl

Wenn sich der Bundespräsident in diesen Tagen etwas wünschen könnte - er würde sich wohl wünschen, man schriebe noch das Jahr 1956. Nicht nur, weil Johannes Rau damals noch ein junger Mann war, sondern vor allem aus verfassungspolitischen Gründen:

Bis zu diesem Jahr gab es das Recht des Bundespräsidenten, beim Bundesverfassungsgericht ein Gutachten zu bestellen. Gäbe es dieses Recht noch, dann könnte sich Rau jetzt pfiffig aus der Affäre ziehen. Er würde einfach die höchsten Richter in Karlsruhe befragen, ob denn nun die Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat in Ordnung war oder nicht - und die Richter müssten das im Plenum des Gerichts klären.

Der große Streit

Dann wäre die Frage schon auf kurzem Wege entschieden, die nun auf langem zu entscheiden ist. Das letzte Wort wird Karlsruhe so oder so haben: Unterschreibt der Bundespräsident das Zuwanderungsgesetz, was zu erwarten ist, dann werden CDU/CSU dagegen mit großem Tam-Tam eine so genannte Organklage erheben.

Verweigert der Bundespräsident aber wider Erwarten die Unterschrift, dann wird es dagegen gleichfalls eine Organklage geben - von seiten der Bundesregierung, vielleicht auch von Bundestag und Bundesrat.

Es wäre also im Fall des Zuwanderungsgesetzes tatsächlich ein Segen, wenn es die rechtsgutachtliche Kompetenz des Verfassungsgerichts vorab, vor dem großen Streit, noch gäbe; nicht nur der Bundespräsident, sondern auch Bundesrat, Bundestag oder Bundesregierung könnten sich schon jetzt auf die Sprünge helfen lassen.

Indes: Die Hilfestellung der Richter wurde mit der Begründung abgeschafft, dass sie sich mit der rechtsprechenden Aufgabe des Gerichts nicht vertrage. Es steht also nun, zum Ende der 14. Legislaturperiode, ein gewaltiger Organstreit an, eine Auseinandersetzung, an der, direkt oder indirekt, alle obersten politischen Bundesorgane beteiligt sein werden.

In den Lehrbüchern des Staatsrechts wird der Bundespräsident als Staatsnotar bezeichnet. Das klingt ein wenig abschätzig, weil damit die Stellenbeschreibung des höchsten Staatsamts arg reduziert wird. Im Fall der Ausfertigung von Gesetzen trifft die Beschreibung aber exakt:

Rau muss, wie ein Notar, das Gesetz beurkunden und dabei prüfen, ob die gesetzlichen Regeln eingehalten worden sind. Dabei war das formelle Prüfungsrecht des Präsidenten immer unstrittig, das Recht also, das ordnungsgemäße Zustandekommen der Gesetze zu prüfen (darum geht es beim Zuwanderungsgesetz). Mittlerweile wird dem Bundespräsidenten auch ein weitgehendes materielles Prüfungsrecht zugebilligt. Das heißt: Er darf und muss prüfen, ob das Gesetz, das er ausfertigen soll, inhaltlich massiv gegen das Grundgesetz verstößt. Ein allgemeines politisches Prüfungsrecht hat er dagegen nicht.

In der Geschichte der Bundesrepublik haben Bundespräsidenten nur in wenigen Fällen ein Gesetz nicht unterschrieben: 1990 verweigerte Richard von Weizsäcker dem Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung seine Unterschrift, 1970 Gustav Heinemann dem Architektengesetz, 1960 Heinrich Lübke dem

Gesetz gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel. Sie hatten verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Inhalt. Bei dem Gesetz zur privatrechtlichen Neuordnung der Flugsicherung hatte Weizsäcker geltend gemacht, man brauche dazu eine Grundgesetzänderung - diese gab es dann auch. Bei der Ablehnung des Belegschaftshandelsgesetzes durch Lübke 1960 war das anders: Das Gesetz ging an den Bundestag zurück, der die Ablehnung stillschweigend akzeptierte und nichts weiter unternahm.

Gelegentlich unterschrieben die Präsidenten mit sperriger Feder: Richard von Weizsäcker unterzeichnete 1994 das Gesetz zur Neuregelung der Parteienfinanzierung nur unter Bedenken, ebensolche äußerte 1981 Karl Carstens bei seiner Unterschrift unter das Gesetz zur Reform des Staatshaftungsrechts.

Meist ging es um die Vereinbarkeit des Gesetzesinhalts mit dem Grundgesetz. Formale Fragen, wie jetzt beim Zuwanderungsgesetz, waren seltener Stein des Anstoßes: 1976 verweigerte Walter Scheel die Unterzeichnung der Wehrpflichtnovelle - nicht weil er inhaltliche Bedenken gegen die Abschaffung der Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern hatte, sondern weil er am ordentlichen Zustandekommen des Gesetzes zweifelte.

Die Bundesregierung war davon ausgegangen, das Gesetz sei nicht zustimmungspflichtig - seine Verabschiedung gegen den Willen des Bundesrates also verfassungskonform gewesen. Das daraufhin 1977 vorgelegte neue Gesetz wurde 1978 vom Bundesverfassungsgericht verworfen.

Nie aber war die Ausfertigung eines Gesetzes so umstritten wie diesmal bei der Zuwanderung, und noch nie war sie Gegenstand eines Wahlkampfs.Wie aufgeladen die Atmosphäre ist, zeigen nicht nur die Versuche von Politikern der Union, den Präsidenten in einer Weise zu bedrängen, die fast in Richtung der strafbaren Nötigung gehen.

Die Erregung zeigt sich auch darin, dass Amtsvorgänger Roman Herzog (CDU) seinem Nachfolger von der SPD nicht nur einen Ratschlag gibt, sondern apodiktisch erklärt, dass die Unterschrift zu verweigern sei. Solche Ermahnungen und Beeinflussungsversuche des alten gegenüber dem neuen Präsidenten sind durchaus unüblich, sie widersprechen dem guten Stil der Zurückhaltung ehemaliger Inhaber des höchsten Staatsamts.

Letztendlich ist der Streit ums Formale ein Aufhänger: Es geht in Wahrheit nicht um Abstimmungsprozeduren im Bundesrat, sondern um den Inhalt eines Gesetzes, das die Opposition auf andere Weise nicht mehr verhindern kann. Es ist wie bei einem Gemälde und dem Nagel. Weil der CDU/CSU das Kunstwerk missfällt, versucht sie, den Nagel zu lockern. Dann knallt es auf den Boden.

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