Kommentar:So wahr ihr Gott helfe

Macht ist, wenn es einem nichts ausmacht, dass man Fehler gemacht hat.

Von Heribert Prantl

Wolfgang Schäuble hat von einem verlorenen Jahr gesprochen. Das stimmt wohl für die CDU, das stimmt nicht für Angela Merkel. Sie hat nämlich in diesem Jahr gezeigt, dass sie nicht nur Fehler machen, sondern diese auch durchstehen kann. Macht ist, wenn es einem nichts ausmacht, dass man Fehler gemacht hat.

Merkel hat in der Gesundheitspolitik gezeigt, dass sie die Kraft hat, ihre Partei auf einen falschen Weg zu zwingen und sie dort zu halten. Sie hat gezeigt, dass sie mit Meuterei umgehen kann und dass sie Siegerin auch dann bleibt, wenn die Meuterer Recht haben.

Sie hat einen Bundespräsidenten durchgesetzt, sie hat Stoiber, Koch und Merz in die Knie gezwungen. Der Finanzexperte, noch vor einem Jahr der große Star des CDU-Parteitages, muss jetzt aus der zweiten Reihe mit Bierdeckeln werfen. Angela Merkel hat sich eisern Respekt verschafft.

Christdemokratisches Wohlgefühl

Aber sie hat kein christdemokratisches Wohlgefühl erzeugen können. Das hat sie nun auf dem Düsseldorfer Parteitag ebenso angestrengt wie vergeblich versucht; der mitfühlende Konservativismus gelingt ihr aber nicht, auch wenn sie es fast zwei Stunden lang probiert.

Ihre Parteitagsrede war der Versuch einer aromatisierten Weihnachtsmischung aus Helmut Kohl und George W.Bush, ein Potpourri aus Streicheleinheiten für fast alle in ihrer Partei, aus wolkigen Allerweltssätzen, aus dem Bekenntnis zu Religion, Familie, Gott und Abendland.

Sie hat das Wort Patriotismus weitgehend vermieden, aber versucht, es zu buchstabieren. So wahr ihr Gott helfe: Von ihrer Rede bleibt vor allem das Versprechen in Erinnerung, dass beim Antritt einer Regierung Merkel alle Minister ihren Eid wieder auf Gott schwören werden. Das ist schön, aber kein Qualitätskriterium. In Gottes Namen sind auch schon sehr unschöne Dinge gemacht worden.

Ein Jahr nach dem Parteitag von Leipzig ist die Euphorie von damals weggeblasen, aber nicht die Macht der Angela Merkel. Die CDU ist mit sich nicht ganz im Reinen. Tristesse wäre das falsche Wort, aber es gibt ein diffuses Unbehagen über die gestörte Balance von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der Merkelschen Politik.

Die CDU fühlt sich ein wenig unwohl, wie im falschen Anzug; sie hat den Blues. Aber der Parteichefin geht es gut. Vor einem Jahr hat die CDU ihre Vorsitzende gefeiert; jetzt hat sie sich ihr ergeben. Das Verhältnis der Partei zu ihrer Chefin erinnert an den Spruch, mit dem Martin Luther die Männer gemahnt hat, ihre Frauen gut zu behandeln: "Wenn wir sie denn schon haben, sollen wir sie auch lieben."

Also haben die Delegierten der Angela Merkel bei der Wiederwahl als Parteichefin ein noch halbwegs liebevolles Ergebnis geschenkt, nach dem Motto: Was bleibt uns übrig? Ein paar Monate vor der kleinen Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen kann man sich Uneinigkeiten, will man sich wirkliche Führungskritik nicht leisten.

Die CDU brummt im Dezember 2004 so unisono den Blues, wie sie im Dezember 2003 den Triumphmarsch geschmettert hat. Das ist es, was Parteien aus den Umfragen gelernt zu haben glauben: Es kommt weniger darauf an, welche Politik man macht, als dass man sie geschlossen macht. Parteitage sind, noch viel mehr als früher, Tage der Selbstdarstellung der Parteiführung. Man könnte die Reihen fast mit Komparsen besetzen.

Es kommt der Führung vor allem darauf an, dass das Fazit lautet, es habe einen eindrucksvollen Beweis der Geschlossenheit gegeben; dazu gehören die infantilen Pflichtbeifallsübungen von mindestens acht Minuten. Das ist bei der CDU so, das ist bei der SPD nicht anders. Wer vorher aufhört, gilt als Dissident.

Ein verlorenes Jahr für die CDU? Wirklich schlimm für die Union wäre es, wenn sie nicht nur ein Jahr verloren hätte, sondern darüber hinaus eine Chance verspielen würde: die Chance, für Millionen von Menschen Alternative zur Regierungspolitik zu sein. Es müsste der CDU gelingen, sich als die Partei der humanen Reformen zu präsentieren.

Die CDU und ihre gefriergetrocknete Reformpolitik

Wie das gehen könnte, hat am Vorabend des Parteitages Heiner Geißler in der Sendung von Sabine Christiansen aufgezeigt. Stattdessen macht die CDU eine gefriergetrocknete Reformpolitik: Sie hat ein Antragspaket vorgelegt, das nicht die Ängste der Menschen vor Reformen lindert, sondern die noch verbliebenen Sicherheiten zerschlägt - man propagiert weniger Kündigungsschutz und mehr Lohndumping.

Merkel spricht richtigerweise davon, dass es gelte, den Menschen wieder ein Gefühl von Schutz und Sicherheit zu geben. "Embedded market" nennt das Anthony Giddens in Großbritannien. Die CDU-Chefin spricht von Neuer Sozialer Marktwirtschaft - sie sagt aber kein Wort gegen die Großunternehmen, die Gewinne scheffeln und zugleich Tausende von Beschäftigten entlassen.

Zu Recht pocht die Union, wenn es um die Integration der Ausländer in Deutschland geht, auf die Werte des Grundgesetzes. Offensichtlich bedarf aber auch die Ökonomie der Integration. Zu den Werten des Grundgesetzes gehört nämlich der Satz: "Eigentum verpflichtet."

Dieser Satz war ein Kern der alten sozialen Marktwirtschaft. Und ohne diesen Satz wird eine neue soziale Marktwirtschaft der CDU nicht funktionieren.

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