Kommentar:Seltsame Signale aus Cottbus

Die Grünen haben die Agenda 2010 abgenickt und trotzdem von mehr Umverteilung geträumt.

Nico Fried

(SZ vom 16. Juni 2003) In seiner Rede zu Beginn des Sonderparteitages hatte sich Reinhard Bütikofer gewünscht, von Cottbus möge ein Signal ausgehen: Die Grünen sind die Reformpartei. Am Ende des Parteitages kann man sagen: Es waren diverse Botschaften zu vernehmen, aber bestimmt nicht jene, die sich der Parteichef erhofft hat.

Kommentar: Sichtlich erleichtert: Grünen-Partei-Chefs Bütikofer und Beer.

Sichtlich erleichtert: Grünen-Partei-Chefs Bütikofer und Beer.

(Foto: DPA)

Zwar haben sich die Grünen letztlich mit deutlicher Mehrheit hinter die Agenda 2010 gestellt. Von einem entschlossenen Aufbruch in die Modernisierung aber kann keine Rede sein. Der kleine Koalitionspartner, von seiner Prominenz an den Schalthebeln immer wieder als Reformmotor der Regierung bezeichnet, ist mit Ach und Krach durch den Tüv gekommen.

Die Grünen, das hat Cottbus zuvörderst gezeigt, sind in weiten Teilen noch immer eine linke Partei im sehr traditionellen Sinne. Viele Delegierte argumentierten ausschließlich in Kategorien der Umverteilung: Keine Steuererhöhung, die im Plenum nicht viel Sympathie genossen hätte.

Dass all das schöne Geld kaum dabei helfen kann, die Sozialsysteme zukunftstauglich zu gestalten, spielte keine Rolle. Zum Ventil für den verbreiteten Frust über die Agenda wurde schließlich die gegen die Parteiführung durchgesetzte Forderung nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Eine klare Richtung aber war nicht erkennbar. Das lässt nicht unbedingt Gutes erwarten, wenn der ersten Agenda früher oder später eine zweite folgen wird. Die Parteispitze mag dieses Problem in Cottbus erkannt haben. Eine Antwort blieb sie schuldig.

Es geht bei einem solchen Parteitag nicht nur darum, ob man eine Politik für richtig hält - gerade die Prominenz wäre auch gefordert gewesen, die kritischen Delegierten davon zu überzeugen. Statt dessen verfolgte sie eine Strategie zwischen Anbiederung und Abgehobenheit: Die Maßnahmen seien schmerzhaft, aber sie müssten eben sein. Und wenn wir sie nicht machen, so die Ansage, dann machen sie die bösen Merzens und Westerwelles.

Als das nicht verfing, reagierte ein Teil der Führung beleidigt, konfus und - wie Parteichef Bütikofer - sogar ausfallend. Und wenn Joschka Fischer vorgehabt haben sollte, allen Vermutungen entgegen zu treten, er sei in Gedanken schon in Brüssel, dann hat er mit seiner wenig inspirierten und für seine Verhältnisse auffallend kurzen Rede eher das Gegenteil erreicht.

Die wirkliche Botschaft von Cottbus ist die beträchtliche Distanz zwischen den Reform-Avantgardisten, die in Berlin vor allem in der Fraktion ohne ausreichend Rückkopplung herumphantasieren, und einem Großteil der Basis. Und ebenso deutlich wurde, dass die Führung noch keine Idee hat, wie diese Kluft überwunden werden kann. Die Instrumente des Kanzlers stehen ihr jedenfalls nicht zur Verfügung.

Wenn bei den Grünen einer mit Rücktritt droht, ist nicht auszuschließen, dass er angenommen wird. So richtig freuen kann sich nach diesem Wochenende nur Gerhard Schröder. Die Grünen haben seine Agenda unterstützt - und sich gleichzeitig nach Monaten des Größenwahns selbst wieder auf Normalmaß zurückgestutzt.

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