Kommentar:Schule der Werte

Die Auseinandersetzung um das geplante Werte-Fach ist so erbittert, weil es um mehr geht als um regionale Schulpolitik. Es geht grundsätzlich um das Verhältnis von Staat und Kirche.

Von Matthias Drobinski

Der größte Pilgerzug aller Zeiten hat sich verlaufen, die Sixtinische Kapelle wird fürs Konklave geputzt, da schiebt sich ein kleines Schulfach aus Berlin in die fürs Religiöse gerade sehr empfängliche Öffentlichkeit.

Wie es heißen soll, wissen seine Erfinder bei PDS und SPD noch nicht, nur dass es viel um Werte und ein bisschen um Religionen gehen soll. Und dass es zum Pflichtfach werden soll für Christen und Heiden, Juden, Muslime, Buddhisten, Esoteriker und Agnostiker; wer Wert auf einen katholischen oder evangelischen Religionsunterricht legt, muss bis nachmittags warten.

Es geht um ein Fach, das eng angelehnt ist an das brandenburgische Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER). Entstanden ist es aus der besonderen Situation in Berlin und Brandenburg, wo aufgrund einer bald 60 Jahre alten Klausel kein konfessionsgebundener Unterricht erteilt wird, sondern die Schulen den Religionsgemeinschaften Räume zur Verfügung stellen.

Seit die dubiose "Islamische Föderation" sich den Zugang zu den Schulen erstritt, finden alle Parteien den Zustand schlecht. FDP und CDU fordern Religionsunterricht auch für Berlin, SPD und PDS haben sich für das neutrale Werte-Fach entschieden. So weit ist die Angelegenheit ein Berliner Streit. Es ist eine Art Rückspiel des Brandenburger Streits um LER, der vor dem Bundesverfassungsgericht endete.

Wunsch nach Frömmigkeit

Die Auseinandersetzung um das geplante Werte-Fach ist aber so erbittert und aufgeregt, weil es um mehr geht als um regionale Schulpolitik. Es geht grundsätzlich um das Verhältnis von Staat und Kirche.

Um die Frage, wie viel Religion eine Gesellschaft braucht, die einerseits säkular wird und in der andererseits der Wunsch nach Frömmigkeit, Glaube, Wegweisung stärker geworden ist. Und darum, welche Art von Bildung die Schule vermitteln soll.

Die verschiedenen Modelle des Werte-Unterrichts sind zunächst einmal eine Reaktion auf eine unleugbare Entwicklung: In Ostdeutschland und auch in Berlin sind die Christen eine Minderheit geworden.

Damit erfasst der konfessionelle Religionsunterricht nur noch eine Minderheit der Schüler, doch auch die Nichtchristen sollen über ihr Leben nachdenken, ethische Fragen debattieren, das Wichtigste über die christlichen Bekenntnisse und die Weltreligionen erfahren - ein Argument, das auch die Kirchen ernst nehmen sollten.

Nach dem, was bisher von den Berliner Plänen bekannt ist, sollen die Schüler allerdings vor allem über ihren Alltag reden und weniger über Religionen erfahren. Damit wäre der Unterricht ein Äquivalent zur Jugendweihe: Formen der Lebensbewältigung werden säkularisiert.

Die größte Schwäche des Pflichtfachs "Werte" ist aber, dass es die Vermittlung von Religion, von Glaubens- und Lebenshaltungen verstaatlicht. Und das kann nur im Anmaßenden oder im Saftlosen enden.

Staat als Religionswächter

Entweder bewerten die Unterrichtsplaner mehr oder weniger offen religiöse Haltungen, dann wird der Staat zum Religionswächter. Oder aber sie enthalten sich aller kritischer Fragen an die Religionen; dann wird der Unterricht museal.

Vom Brandenburger LER-Unterricht heißt es, dort seien jene Einheiten am wenigsten beliebt, die sich mit den Weltreligionen beschäftigen - kein Wunder. Der Werte-Unterricht ist ein Widerspruch zur Formel des ehemaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach der Staat die Werte nicht selber erschaffen kann, die über das Grundgesetz hinaus für das Gemeinwesen notwendig sind. Hier versucht er es, und das kann nur im Krampf enden.

Wie ein erneuter Streit in Karlsruhe ausgehen würde, lässt sich schwer sagen. Die Verfassungsrichter haben damals klargemacht, die so genannte Bremer Klausel bedeute, dass die Brandenburger Landesregierung LER als Pflichtfach einführen könne.

Sie haben aber auch deutlich die Benachteiligung des Religionsunterrichts kritisiert, und Brandenburg hat dem in einem Kompromiss mit den Kirchen Rechnung getragen - so kann man sich dort, anders als in Berlin vorgesehen, von LER ab- und beim Religionsunterricht anmelden, was nicht nur christliche Schüler tun.

Auch deshalb sollten die Berliner den Religionsunterricht deutlich aufwerten und ihm einen festen Platz an der Schule sichern. Am fairsten wäre eine Wahlpflicht-Fächerleiste, mit Ethik, konfessionellem, auch islamischem Unterricht, mit gemeinsamen Unterrichtseinheiten.

Religion ist kein Randfach. Es wird immer deutlicher, wie wichtig ein Unterricht ist, der das Bekenntnis nicht schamhaft verschweigt, sondern zum Gegenstand des Diskurses macht. Der kann sehr kritisch sein; es ist ja ein Zerrbild, die Religionslehrer allesamt als Agenten ihres Bischofs hinzustellen.

Aber es ist ein Unterschied, ob ein Werte-Lehrer oder eine Religionslehrerin über das Verbot der katholischen Kirche redet, Frauen zu Priestern zu weihen. Im zweiten Fall lernt ein Schüler, dass man um seinen Glauben manchmal auch ringen muss.

Der Religionsunterricht schult das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft, das keine Pisa-Studie erfasst, das aber so wichtig ist, wenn es um das Woher und Wohin geht, um Gerechtigkeit und Menschenrechte. Und das ist mindestens so viel wert wie ein guter Mathematik-Unterricht.

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