Kommentar:Schröders Wegsperr-Gesetz

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Karlsruhe entscheidet über die Sicherungsverwahrung und damit über die Zukunft des Strafrechts.

Von Heribert Prantl

(SZ vom 21.10.2003) - Nicht alle Gesetze, die im so genannten Dritten Reich erfunden wurden, sind der allgemeinen Verdammnis anheim gefallen - im Gegenteil: Die Sicherungsverwahrung, über die am Dienstag und Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt wird, ist eine legislative Erfindung aus dem Jahr 1933; sie ist aber seit etwa sechs, sieben Jahren in der deutschen Gesetzgebung wieder äußerst populär, nachdem sie noch Mitte der neunziger Jahre als Auslaufmodell gegolten hatte. Bund und Länder haben diese "Haft nach Haft" erheblich ausgeweitet.

Es handelt sich um die drakonischste Sanktion, die das deutsche Recht kennt, sie ist der Quasi-Ersatz für die Todesstrafe: Der Täter bleibt hinter Gittern, solange er als öffentliches Risiko gilt, also auch dann, wenn er seine Strafe abgesessen hat.

Er bleibt dann eben nicht wegen der Schuld, die er auf sich geladen hat in Haft, sondern wegen seiner allgemeinen Gefährlichkeit; und diese "Maßregel der Sicherung" endet im Zweifel erst mit dem Tode.

Der Bund hat 1998 dafür gesorgt, dass die bis dahin geltende Höchstgrenze von zehn Jahren bei der erstmalig angeordneten Sicherungsvewahrung gestrichen wurde; sie dauert jetzt unbestimmte Zeit.

Dies war die Exekution einer Ankündigung, die Kanzler Schröder nach einem Aufsehen erregenden Sexualmord an einem Kind gemacht hatte: "Wegsperren - und zwar für immer." Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben darüber hinaus in ihren Polizeigesetzen die Möglichkeit geschaffen, Straftäter nachträglich in Sicherungshaft zu nehmen - wenn also im Urteil davon nichts steht und sich eine Rückfallgefahr erst im Strafvollzug zeigt; diese Möglichkeit wurde aber bisher kaum angewandt.

Es handelt sich nämlich um Gesetze mit einem äußerst kleinen Anwendungskreis: Die Zahl der Sexualmorde an Kindern hat stark abgenommen; sie liegt bei drei bis fünf im Jahr. In der politischen Debatte wird allerdings so getan, als handele es sich bei der Sicherungsverwahrung um ein Universalmittel gegen Schwerkriminalität.

Daraus resultiert die Gefahr, dass die neuen Gesetze die Tendenz zur Ausdehnung in sich tragen - auch wenn die Strafgerichte bisher sehr zurückhaltend sind. Die Verfassungsrichter werden also dafür sorgen müssen, dass der Satz in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, nicht umgedreht wird und es künftig heißt: in dubio contra - also im Zweifel Wegsperren.

Vorderhand geht es in Karlsruhe darum, ob die Verschärfungen auch für solche Täter gelten können, die sich bei Erlass der neuen Gesetze schon in Haft befanden - ob sie also rückwirkend angewendet werden können. Und dann geht es darum, ob die Länder überhaupt eine Kompetenz für die Sicherungsverwahrung haben.

Denn es handelt sich ja um Strafhaft ad ultimo - und dafür haben die Länder keine Kompetenz. Deshalb sprechen sie von einer Maßnahme der Gefahrenabwehr; dafür sind nämlich die Länder zuständig.

In Karlsruhe geht es aber um noch viel mehr: Um die Zukunft des Schuldprinzips und damit um die des Strafrechts überhaupt. Wenn den Wegsperr-Gesetzen keine Grenzen gesetzt werden, dann wird Strafrecht in absehbarer Zeit von einem uferlosen Recht der inneren Sicherheit abgelöst werden, das nicht mehr auf Schuld, sondern auf potenzielle Gefährlichkeit abstellt, das nicht mehr Täter, sondern Risikofaktoren kennt.

Es gibt Tendenzen in diese Richtung: In Hessen hat eine Arbeitsgruppe aus Justiz- und Innenministerium empfohlen, Sicherungsverwahrung auch dann nachträglich anzuordnen, wenn der Strafgefangene zwar schon längst entlassen ist, sich aber drei Jahre später zeigt, dass er noch gefährlich ist.

Von da wäre der Schritt zum dauerhaften Wegsperren zum Zweck der Vorbeugung nicht weit - Personen zwar noch keine Straftaten begangen haben, aber nach Meinung von Sachverständigen welche begehen könnten. Und dann wäre man in der Tat wieder fast so weit wie zwischen 1933 und 1938.

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