Kommentar:Schleichende Gefahr

Weil sie den Feinstaub nicht in den Griff bekommen, drohen die Städte mit Sperrungen - endlich.

Michael Bauchmüller

Feinstaub, der Name deutet es schon an, ist schwer fassbar. Man hört ihn nicht, riecht ihn nicht, sieht ihn nicht. Trotzdem ist er da. Ähnlich schleichend entwickelte sich der Feinstaub zu einem Reizthema. Jahrelang sprach kein Mensch über die Rußpartikel, dann sind sie plötzlich allgegenwärtig: ständig überschrittene Grenzwerte, lamentierende Autohersteller, hektische Kommunen, und nun drohen Deutschlands Städte sogar mit Fahrverboten.

Dies mag überraschen, denn lange haben die Kommunen alles getan, um das Problem zu verdrängen. Sie leiteten Verkehr um Feinstaub-Messstellen herum und senkten so die Werte - die Belastungen aber verlegten sie auf die Umgehungsroute.

Sie spülten Straßen nahe den Messstationen und verhinderten so, dass der Feinstaub unnötig aufgewirbelt wird. An den Gefahren änderte dies alles nichts, es kaschierte sie nur. Aber Herumdoktern hilft nicht mehr.

Ein Blick auf die jüngsten Messwerte zeigt, warum es für Sperrungen höchste Zeit ist. An 62 Tagen in diesem Jahr haben Fahrzeuge rund um die viel befahrene Landshuter Allee in München mehr Rußpartikel ausgestoßen und aufgewirbelt, als es die EU den Menschen zumuten will. Das Maximum von 35 Tagen wird schon bald um das Doppelte übertroffen sein; zuletzt schützte nur der nasskalte Sommer davor.

Ähnlich sieht es an vielen anderen Stationen aus. Lautlos übertritt der Feinstaub seine Grenzen. Und glaubt man der Weltgesundheitsorganisation WHO, dann sterben jährlich ungefähr 100000 Europäer deshalb vorzeitig. Hinweise der Autoindustrie, dass die Belastung aus Dieselmotoren nur einen Bruchteil der gesamten Feinstaub-Fracht Deutschlands ausmache, helfen da nur wenig. Denn die Autos lassen den Feinstaub zielgenau dort entstehen, wo die meisten Menschen leben. Es ist nicht der Feinstaub auf dem Land, der Sorgen bereitet.

Ein Fahrverbot tut weh, aber es hilft. Erst wenn die deutschen Kraftfahrer ihre geschätzte Bewegungsfreiheit bedroht sehen, werden sie massenhaft in die Werkstätten ziehen, um ihre Motoren mit Dieselrußfiltern nachrüsten zu lassen. Aus Sicht der Opfer ist das nicht zu viel verlangt. Es wird zwar Verlierer geben - nämlich jene, in deren Autos sich kein Filter mehr einbauen lässt.

Doch auch Fahrverbote müssen nicht ewig währen; letztlich arbeiten sie darauf hin, sich selbst überflüssig zu machen, wenn der größte Staub sich wieder gelegt hat. Dann hätten selbst die wenigen verbliebenen alten Gurken wieder eine Chance auf die Innenstadt.

Beruhigend am Feinstaub-Problem ist, dass man es lösen kann. Womöglich noch in diesem Monat wird sich die Bundesregierung - nach einer wenig verständlichen Verzögerung in dieser Woche - wohl auf eine Plakette für rußarme Fahrzeuge verständigen können.

Sie ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt Gegenden für filterlose Diesel gesperrt werden können. Irgendwann wird auch klar sein, auf welche Steuererleichterungen Dieselfahrer hoffen können, die nachträglich einen Rußfilter einbauen lassen. Und bis dahin dürften die Autohersteller in der Lage sein, die Filter nachzurüsten. Das Thema Feinstaub wird so leise davonschleichen, wie es kam.

Natürlich hätte es nicht geschadet, schon früher auf jene Konsequenzen hinzuweisen, die nun die Autofahrer überraschen - dafür aber, so scheint es, war der Staub zu wenig greifbar. Natürlich hätten die deutschen Hersteller keinen technologischen Rückstand in Kauf nehmen müssen. Mit etwas weniger Hochmut hätten sie auch deutsche Autos längst mit Filter ausstatten können, so wie ihre Kollegen in Frankreich.

Immerhin haben alle Beteiligten die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Schon 2010 müssen sie strengere Grenzwerte beim Stickstoffoxid einhalten - einem ähnlich schleichenden Gift. Ob die Deutschen diesmal rascher handeln?

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