Kommentar:Rot-grünes Menetekel

Die Wahl in Schleswig-Holstein ist ein herber Rückschlag für das Berliner Regierungsbündnis.

Von Joachim Käppner

Von Winston Churchill stammt der auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges gemünzte Satz, es gebe Siege, die sich von der Niederlage fast nicht unterscheiden.

Solcher Art waren auch die Erfolge, welche die SPD zuletzt verkündet hatte, um sich und dem Wahlvolk einzureden, dass die Partei Dank der festen Hand in der Reformpolitik das Tal der Tränen nun durchschritten habe.

Ungerührt gab Parteichef Franz Müntefering etwa das erneute Fiasko bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September 2004 schon deshalb als Sieg aus, weil es nicht ganz so demütigend ausfiel wie man schlimmstenfalls hätte erwarten können.

In Schleswig-Holstein klammerten sich die anfangs so siegesgewissen Genossen bei der Stimmauszählung am Sonntag einen spannenden Abend lang nur noch an die Hoffnung auf einen weiteren schmerzhaften Erfolg dieser Art - daran, dass Ministerpräsidentin Heide Simonis mit Hilfe der dänischen Minderheitspartei SSW gerade noch so an der Macht bleiben könnte.

Nach dem vorläufigen Endergebnis sah dann tatsächlich so aus - falls der Südschleswigsche Wählerbund mitspielt.

Rückschlag

Ende gut, alles gut? Für Rot-Grün keineswegs. Diese Wahl sollte doch die große Wende werden, der Berliner Koalition endlich einen eindrucksvollen, nachhaltigen Sieg bringen.

Dazu ist es nicht gekommen, die Sozialdemokraten verloren zu viele Stimmen. Eine rot-grüne Mehrheit gibt es auf Landesebene nun nur noch in Nordrhein-Westfalen, wo im Mai ebenfalls gewählt wird. Die Abstimmung vom Sonntag war auch in dieser Hinsicht eine Testwahl für die Stimmung im Bund.

Auch wenn Heide Simonis in Kiel weiterregieren sollte: Für die Bundesregierung ist dieses Ergebnis ein herber Rückschlag. Sie steht bei mehr als fünf Millionen Arbeitslosen nicht gut da, ihre Härte bei der Umsetzung von Hartz IV hin oder her.

Die Verluste in Schleswig-Holstein sind ein Menetekel - ein Menetekel für Nordrhein-Westfalen. Verliert die SPD ihre alte Hochburg und letzte große Bastion, kann sie für die Bundestagswahl 2006 fast alle Hoffnung fahren lassen.

Die Einbußen lagen nicht vor allem, aber auch an Heide Simonis. Die SPD-Ministerpräsidentin genoss zwar trotz ihrer maschinengewehrartigen Redeweise im Land der bedächtigen Norddeutschen große Popularität.

Gegen ihr Charisma kam Peter Harry Carstensen, der doch von Habitus und Aussehen wirkte, als sei er einer Werbesendung für Ferien auf dem Bauernhof oder für klare norddeutsche Schnäpse entstiegen, zwar nicht an.

Warnzeichen

Heide Simonis aber gelang es nicht, ein weiteres Mal die unverkennbaren Schwächen ihrer Regentschaft zu überstrahlen: Eine Landesregierung, deren einziger Trumpf die Regierungschefin selbst ist. Eine Rekordverschuldung, eine für westdeutsche Verhältnisse atemberaubende Arbeitslosigkeit.

Dazu jene regionalen, für jede Landesregierung vor Wahlen peinlichen Affären wie der Ausbruch eines gefährlichen Häftlings, der sogleich einen neuen Mord beging: In Schleswig-Holstein gab es durchaus Gründe für eine Wechselstimmung.

Die SPD hatte diese zuletzt nicht mehr spüren wollen; dabei hätte die Unzufriedenheit, die viele Schleswig-Holsteiner mit der Lage des Landes äußerten, ein Warnzeichen sein müssen.

Das Land zwischen den Meeren war ja einst ein schwarzes Land. Jahrzehntelang regierte die CDU in Schleswig-Holstein, für das in gewisser Weise ebenfalls zutraf, was Bismarck über das benachbarte Mecklenburg sagte: Wenn einmal der Weltuntergang drohe, dann werde er dorthin gehen, weil da alles fünfzig Jahre später geschehe. Erst die Katastrophe des Barschel-Skandals 1987 brachte in Kiel die SPD an die Macht.

Nun ist die CDU überraschend wieder stärkste Partei geworden, sie hat viele Wähler zurückgewonnen, sie ist dem Machtwechsel in Berlin ein kleines Stück nähergekommen, am Ende aber doch kleiner als erhofft.

Das wird ihr auf Dauer nicht erlauben, der Frage auszuweichen, ob Angela Merkel die richtige Kanzlerkandidatin ist, und mehr noch, mit welchen Konzepten CDU und CSU 2006 überzeugen wollen.

Mit solchen wie dem verworrenen Gesundheitskompromiss dürfte es nicht leicht werden. Umgekehrt hat sich die Position der Chefin nun erst einmal gefestigt, da sich die Partei doch eindrucksvoll geschlagen hat.

Die Demokratie gewinnt

Offen bleibt nach dem Wahlabend, ob die Rechnung der Union, Außenminister Joschka Fischer und damit die Grünen über die Visa-Affäre zu beschädigen, auf Dauer aufgeht; manche Unionisten klangen ja zuletzt, als habe Fischer persönlich Dunkelmänner der ukrainischen Mafia über die Grenze gelotst.

Der Untersuchungsausschuss über die unbestreitbaren Missstände im Auswärtigen Amt kann den Grünen noch erheblich schaden; in Schleswig-Holstein war ihr Ergebnis zwar stabil, ist aber doch deutlich hinter ihren besten Umfrageergebnissen zurückgeblieben.

Und die NPD, die als unbekannte Größe galt? Sie blieb draußen. Der Versuch, den treudeutschen Biedermann zu geben und durch den Einzug in einen westdeutschen Landtag die Führung des rechtsradikalen Lagers zu übernehmen, verfing nicht. So gibt es zumindest einen Sieger von Kiel: die Demokratie.

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