Kommentar:Hört die Signale

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Spätestens jetzt wird aus der Kapitalismusdebatte eine große innerparteiliche Auseinandersetzung darüber, als welche SPD sich die SPD bei der Bundestagswahl dem Wähler präsentieren soll.

Von Heribert Prantl

Der Tod ist etwas anderes als die Todesnähe; das weiß jetzt, nach diesem Wahlabend, auch die SPD. Wenn es wirklich so weit ist, ist alles anders - dramatischer, existenzieller. Dann wird nicht mehr nur spekuliert; dann ist es so.

Die Wucht des Ereignisses wirft auch diejenigen Sozialdemokraten um, die sich gewappnet hatten und gewappnet glaubten; das Reden darüber, dass der Machtwechsel halt zur Demokratie gehöre, hört sich für die Gestürzten an wie eine Grabrede: Die SPD muss nach 39 Jahren die Macht im größten Bundesland abgeben, die letzte rot-grüne Landesregierung in Deutschland ist am Ende.

SPD-Chef Franz Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder greifen, um Verzweiflung in der Partei gar nicht erst ausbrechen zu lassen, zu einem verwegenen letzten Mittel: Sie streben Neuwahlen an.

Das ist ein Coup, das soll die letzten Reserven mobilisieren, das soll die Partei disziplinieren, das soll von der Wahlniederlage ablenken.

Neuwahlen - das ist Angriff, das ist Poker um die Macht, das ist Spekulation auf Turbulenzen, die das in der Union auslösen könnte. So soll alles auf eine Karte gesetzt werden.

Der Weg zu Neuwahlen ist allerdings juristisch nicht so einfach, wie die SPD-Spitze das womöglich glaubt. Gleichwohl: Sie bläst zum letzten sozialdemokratischen Gefecht gegen einen sich anbahnenden Machtwechsel in Berlin und versucht, den politischen Gegner zu überrumpeln.

Sicher: Die Sozialdemokraten in Düsseldorf wie in Berlin haben ihr Desaster kommen sehen, sie haben sich darauf einzustellen und sich damit abzufinden versucht.

Aber es ist noch viel größer als befürchtet, und die psychologische und politische Wirkung für Rot-Grün begann sich erst voll zu entfalten, als auf dem Fernsehschirm die Balken stiegen und fielen.

Dem versucht Müntefering entgegen zu arbeiten: Solange Wahlkampf ist, ist noch Hoffnung, und wenn es nur die auf ein Wunder ist. Wäre die Landtagswahl sechs Wochen später gewesen - Münteferings Kapitalismuskritik hätte, davon scheint der SPD-Chef auszugehen, die Lage für die SPD wenden können. Vorbei.

Das Wunder wäre ein Ereignis gewesen, das noch einmal Glauben hätte schaffen können. Bevor der Glaube daran, dass ein SPD-Kanzler es noch einmal packen kann, völlig verschwindet, versucht Müntefering aus dem Ring der Niederlagen auszubrechen.

Unmöglich ist es nicht, aber es ist unwahrscheinlich. Wo ist Hoffnung für den Kanzler? Es kann sein, dass seine Rolle auf der europäischen Bühne in nächster Zeit noch wichtiger wird als bisher; sollten die Franzosen die EU-Verfassung ablehnen, wäre der nun furchtbar abgestrafte Kanzler der Staatsmann, der Europa aus einer Krise führen muss, die noch gewaltiger ist als die der SPD; Chirac und Blair kommen für diese Aufgabe kaum in Frage.

Schröder stünde nach einem EU-Verfassungsdebakel also vor der Aufgabe, das verstörte Europa wie ein Christophorus durch den reißenden Fluss zu tragen. Es kann sein, dass er sich staatsmännisch auf die Europa- und Außenpolitik konzentriert und Müntefering den Part des Innenpolitikers übernimmt.

Selbst wenn sich beide dabei gut anstellten - es ist fraglich, ob das die Wähler beeindrucken kann.

Spätestens jetzt wird aus der Kapitalismusdebatte eine große innerparteiliche Auseinandersetzung darüber, als welche SPD sich die SPD bei der Bundestagswahl dem Wähler präsentieren soll: A la Schröder? A la Müntefering?

Gestreift wie ein Zebra - auf dem der Kanzler sitzt und das vom Parteichef am Zügel geführt wird? Kann es der SPD noch gelingen, glaubhaft darzustellen, dass sie trotz aller Modernisierungen für eine soziale Republik steht?

Womöglich ergeht es der SPD bei einem solchen Spagat wie dem Rumpelstilzchen; das riss sich in der Mitte entzwei.

Lafontaine wird nicht wie ein Phönix aus der Asche der SPD auferstehen. Und eine Wiedererweckung der USPD, also einer Linksabspaltung der SPD, diesmal unter der Führung von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, wird so wenig Erfolg haben wie vor neunzig Jahren unter Barth und Ledebour.

Und schon gar nicht kann sich eine neue Gysi/Lafontaine-Partei bis zu Wahlen im Herbst konstituieren. Eine Partei in der Lage der SPD ist unberechenbar; etliche ihrer Parlamentarier stehen womöglich vor dem Absprung.

Münteferings Neuwahlmanöver soll ein Gegenmittel sein.

Am Sonntagabend hat sich die Republik verändert: Der Kanzler steht auf Treibsand, die SPD am Abgrund, aber geführt vom Mut der Verzweiflung; die grüne Partei steht in allen Landtagen in der Opposition; die Merkel-CDU fast am Gipfel, und Westerwelle, trotz des für ihn dürftigen Ergebnisses, feixend daneben.

Die Union ist an sich in einer glänzenden Lage. Bis zum Neuwahl-Manöver konnte sie der Agonie von Rot-Grün genüsslich zusehen.

Aber auch jetzt droht ihr Gefahr vor allem von sich selbst. Dem verstorbenen Fürsten Johannes von Thurn und Taxis wird der Satz nachgesagt, den sich jetzt die CDU/CSU als mahnendes Motto auf den Schreibtisch stellen kann: Ein so großes Vermögen kann man nicht versaufen, verhuren oder verfressen; man kann es nur verdummen.

© SZ vom 23.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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