Kommentar:Globalisierung in Gefahr

Bei allem, was über die vereitelten Terroranschläge von London noch herauskommen mag, eines steht fest: Sie haben etwas mit der Globalisierung zu tun.

Nikolaus Piper

Nicht in dem Sinne, dass die mutmaßlichen Täter Verlierer der Globalisierung wären - eher im Gegenteil: Zumindest deren Eltern haben als Migranten von der ökonomischen Verflechtung der Welt profitiert.

Aber der islamistische Terror nutzt die Globalisierung für seine Zwecke und er trifft gleichzeitig die Globalisierung ins Mark. Die Zusatzkosten für Sicherheit im Flugverkehr, die nun erneut steigen werden, wirken wie eine Steuer auf die internationale Arbeitsteilung, hat ein kluger Ökonom schon nach dem 11. September 2001 gesagt.

Der Terror hat aber auch ideell mit der Globalisierung zu tun. Der Hass, der die Islamisten zu ihren monströsen Verbrechen treibt, richtet sich gegen - in der Propagandasprache - "Kreuzfahrer und Zionisten". Allgemeiner gesprochen: gegen "den" Westen, gegen die kapitalistischen Demokratien, die für ihre Institutionen und ihr Wertesystem universelle Geltung beanspruchen.

Der globale Kapitalismus wird nicht nur in islamischen Ländern als demütigend und bedrohlich wahrgenommen. Auch in Lateinamerika und in den alten Industriestaaten sehen sich viele als Verlierer der Globalisierung. Selbst wenn diese Analyse meist nicht stimmt - der globale Kapitalismus ist ein Hassobjekt rund um den Globus.

Wer also davon überzeugt ist, dass die möglichst ungehinderte internationale Arbeitsteilung bei offenen Grenzen - und nichts anderes ist Globalisierung - zum Segen der Menschheit gereicht, der muss hier handeln. Er muss dafür sorgen, dass Globalisierung gerecht ist und auch so wahrgenommen wird.

Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September war den westlichen Regierungen - auch der in Washington - der enge Zusammenhang zwischen Erfolgen im Kampf gegen den Terrorismus und der globalen Wirtschaftsordnung sehr bewusst.

Aus dem Grund setzten sie im Dezember 2001 auf einer Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) am Persischen Golf die sogenannte Doha-Runde in Gang, also Verhandlungen zwischen allen 149 Mitgliedern der WTO, um die Handelsschranken auf der Welt weiter zu senken und dabei die Frustration der Entwicklungsländer über die bisherigen Ergebnisse der WTO abzubauen. Deshalb bekam die Doha-Runde auch den Namen "Entwicklungsrunde".

Die politische Dimension des Freihandels

Vor zwei Wochen nun sind die Verhandlungen gescheitert - vertagt auf unbestimmte Zeit. Dass dies in einem Augenblick geschah, in dem islamistische Terroristen gerade einen neuen mörderischen Anschlag vorbereiteten, war zwar nur ein makabrer Zufall, trotzdem zeigt sich hier, wie sehr die politische Dimension des Freihandels in den vergangenen fünf Jahren wieder vergessen wurde.

Zur Debatte steht eben nicht nur das Geschäft mit Rohrzucker, Stahl und Bankfilialen, sondern ganz grundsätzlich das Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

Das ökonomische Zusammenwirken der Menschen über Grenzen braucht allgemein anerkannte Regeln. In der Fachsprache heißen sie: Meistbegünstigungsklausel, Inländerbehandlung, Rule of Law. Ihr Kern ist das, was die meisten Menschen als elementar gerecht verstehen: Du sollst den anderen in seinen Rechten respektieren und niemanden diskriminieren.

Globalisierung in Gefahr

Weil aber Einzelinteressen immer wieder in Konflikt mit dieser elementaren Gerechtigkeit geraten, braucht eine regelgebundene internationale Ordnung auch eine Macht, die hinter diesen Regeln steht. Diese Rolle kann derzeit niemand anders als die Vereinigten Staaten spielen. Das Problem ist, dass deren Fähigkeit dazu spürbar nachgelassen hat.

Das ist auch eine Folge des Irak-Krieges, des Versagens der Amerikaner bei der Befriedung des Landes und des Gefangenenlagers in Guantanamo. Der Verlust an politischer Glaubwürdigkeit hat auch ökonomische Folgen.

Der Historiker Harold James hat das Dilemma der Macht in der Globalisierung durch einen historischen Vergleich illustriert. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, das vor 200 Jahren aufgelöst wurde, war für ihn das Musterbeispiel einer durch Regeln gebundenen Ordnung.

Die Macht des Kaisers hatte Grenzen, er war darauf angewiesen, dass die Reichsfürsten nach den Regeln spielten. Wird in so einem System die Macht zu klein, dann implodiert das System (wie im Falle des alten Reiches); wird sie zu groß, dann gleitet das Modell ins Imperiale oder gar Imperialistische ab. Das ist die Versuchung für die USA.

Die Globalisierung steckt in der Krise

Der Krieg gegen den Terror, das Scheitern der Handelsgespräche, aber auch die Renaissance eines aggressiven Wirtschaftsnationalismus in Lateinamerika zeigen, dass die Globalisierung in der Krise steckt. In vielen Teilen der Welt wird Globalisierung als Imperialismus wahrgenommen, selbst in Ländern wie Deutschland, in denen die Bilanz eindeutig positiv ist (daher der Titel "Exportweltmeister").

Es bleibt trotzdem die für viele unheimliche Erfahrung der kalten ökonomischen Rationalität auf den internationalen Kapitalmärkten: Unter Umständen entscheidet das Management eines Pensionsfonds im Mittleren Westen der USA über die Zukunft der Arbeitsplätze in einer Firma im Schwarzwald.

Die Ressentiments, die das auslösen kann, wurden in der Heuschrecken-Debatte deutlich, ausgelöst von Franz Müntefering im vergangenen Jahr.

Globalisierung gab es schon immer, seit Menschen Handel treiben können. Trotzdem ist sie kein Naturgesetz; es hat in der Geschichte immer wieder Phasen gegeben, in denen die internationale Arbeitsteilung verkümmerte oder ganz aufhörte.

So war es beim Zusammenbruch der antiken Wirtschaftsordnung nach dem Fall des Weströmischen Reiches. So war es auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es waren immer Zeiten des ökonomischen Niedergangs. Erst der Verfall des Welthandels machte aus dem Börsenkrach an der Wall Street 1929 die große Weltwirtschaftskrise.

Dazu kam es auch deshalb, weil schon lange vor dem Ersten Weltkrieg die Globalisierung in den Köpfen gestorben und das Klima bereitet war für Chauvinismus und Wirtschaftsnationalismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die Siegermächte die Konsequenzen aus all den Katastrophen und schufen eine regelgebundene internationale Wirtschaftsordnung. Sie war, zieht man die Vorgeschichte in Rechnung, ein phänomenaler Erfolg. Nun ist diese Entwicklung auf der Kippe.

Die Widerstände werden größer, weil dank technischer Fortschritte die unheimliche Macht der Kapitalmärkte zugenommen hat, weil der Eintritt Chinas und Indiens in die Globalisierung für neue Konkurrenz sorgt und weil die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten als Macht hinter der Globalisierung und hinter den westlichen Werten sehr gelitten hat. Umso mehr gehören jetzt der Kampf gegen den Terrorismus und die Einbindung der Entwicklungsländer in eine offene, internationale Wirtschaftsordnung zusammen.

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