Kommentar:Genossin Angela Merkel

Die CDU-Kanzlerin macht SPD-Politik, die notwendigen Reformen werden weiter verschleppt.

Marc Beise

Vielleicht sollten Angela Merkel und Franz Müntefering einfach ihre Ämter tauschen. Die CDU-Regierungschefin könnte Vizekanzlerin werden, und der SPD-Arbeitsminister ins Kanzleramt umziehen.

Kommentar: Sie kam, sah und macht es nicht besser: Angela Merkel. (Hier im Bild: Porträtfotos im Restaurant "Kanzler Eck" in Berlin)

Sie kam, sah und macht es nicht besser: Angela Merkel. (Hier im Bild: Porträtfotos im Restaurant "Kanzler Eck" in Berlin)

(Foto: Foto: ddp)

Es wäre, könnte man boshaft sagen, nur die formale Anerkennung des inhaltlichen Kurses der großen Koalition, den Merkel zu verantworten hat. Die Regierung betreibt unter ihrer Führung seit fünf Monaten eine Politik, die ganz im Sinne der SPD ist und mit den Ankündigungen der Oppositionspolitikerin Merkel kaum noch etwas zu tun hat.

Sie hat die Deutschen eingelullt

Merkwürdigerweise regen sich darüber nicht einmal CDU-Wähler auf. Die Deutschen sind auf eine eigenartige Weise eingelullt von der unprätentiösen Art der ersten Frau im Kanzleramt, die den Egomanen Helmut Kohl und Gerhard Schröder nachgefolgt ist.

Merkel kommt an - obwohl doch kaum etwas von dem, was die große Koalition bisher angepackt hat, ihren ehrgeizigen Ankündigungen entspricht.

Ein Ruck sollte durchs Land gehen, hatte sie seinerzeit versprochen, wollte mehr Freiheit wagen, den Haushalt sanieren, das Steuersystem entschlacken, die Sozialsysteme auf eine solide Basis stellen - kurz: dringend notwendige und seit Jahren verschleppte Reformen anpacken.

Sie redet noch immer gerne davon, die Kanzlerin, und sie erntet viel Lob dafür. Die Umfragen signalisieren unverändert große Zustimmung, der Wirtschaft wird vor lauter Optimismus bald schwindelig und die Unternehmer und Manager buhlen bei Verbandstagen um ihre Gunst.

Große Reden, kleine Taten

Den bisher einzigen harten Impuls der Regierung aber, die Forderung nach einer längeren Lebensarbeitszeit zur Entlastung des Rentensystems, setzte der SPD-Vizekanzler, kaltblütig und zum Entsetzen der eigenen Leute sogar in Zeiten von Landeswahlkämpfen.

Die Kanzlerin dagegen verschont ihr Publikum meist mit unangenehmen Forderungen. Ob im Konferenzsaal, in kleiner Runde im Kanzleramt oder im Bundestag, Merkel verzückt nach immer demselben Schema.

Sie beginnt mit einer erfrischend klaren Schilderung des Reformbedarfs - um dann im zweiten Teil ihrer Reden nur noch Allgemeinplätze anzubieten, mündend in die Aussage: "Wir wissen, dass wir noch viel zu tun haben." Man kann das für geschickt halten - oder für hilflos.

Ausgerechnet unter der CDU-Kanzlerin Merkel findet jetzt in der Steuerpolitik der Paradigmenwechsel statt: Der Rückzug des allumfassenden Staates ist abgeblasen, der Fiskus greift wieder zu, und nicht zu knapp: drei Prozentpunkte mehr bei der Mehrwertsteuer, daran soll nicht gedeutelt werden, obwohl die Steuereinnahmen zweistellig gewachsen sind.

So wird es nicht mehr Beschäftigung geben

Eine Reichensteuer soll her, womöglich sogar auch für die gewerbliche Wirtschaft, obwohl die Unternehmer doch eigentlich entlastet werden sollten. Die große Unternehmensteuerreform steht auf der Kippe, von weiteren Reformen ist erst gar keine Rede mehr. Die Sanierung der maroden Staatsfinanzen beschränkt sich auf bescheidene Subventionskürzungen.

Die Gesundheitsreform droht sich darin zu erschöpfen, den Bürgern erst einmal mehr Geld abzuknöpfen, obwohl im System Einsparpotenziale in zweistelliger Milliardenhöhe stecken. Still ruht die so dringend notwendige Liberalisierung des Arbeitsmarkts, ohne die es nicht zu mehr Beschäftigung kommen wird.

Hinter all dem steht die altbekannte Sehnsucht nach dem starken Staat, der alles richten und lenken und dafür auch großzügig alimentiert werden will. Eine Sehnsucht, die bisher vor allem in der Sozialdemokratie beheimatet war. Dies sei nicht das Weltbild der Angela Merkel, sagen jene, die ihr nahe stehen. Aber die Physikerin denke strukturiert und praxisorientiert und in langen Zeiträumen, sie werde, heißt es, schon noch zu regieren und zu reformieren beginnen. Aber wann endlich?

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