Kommentar:Ende des Jugendwahns

Die Deutschen sollen bis 67 arbeiten: Die Vorschläge Franz Münteferings sind richtig und überfällig.

Nina Bovensiepen

Vom Arbeitsmarkt kommen in diesen Tagen verwirrende Signale. Da verkündet Arbeitsminister Franz Müntefering, dass die Deutschen länger arbeiten sollen; gleichzeitig teilt die Bundesagentur für Arbeit mit, dass mehr als fünf Millionen Menschen hierzulande keinen Job finden.

Franz Müntefering

Franz Müntefering

(Foto: Foto: dpa)

Die IG Metall solidarisiert sich im Nürnberger AEG-Werk mit den von Stellenstreichungen bedrohten Arbeitnehmern; gleichzeitig fordert die Gewerkschaft in den Tarifverhandlungen selbstbewusst fünf Prozent mehr Geld. Das alles spiegelt das Bild einer veränderten Arbeitswelt, in der sich Politiker, Betriebe, Beschäftigte und Gewerkschaften unterschiedlich gut zurechtfinden - und mal mehr, mal weniger beherzt mit notwendigen Veränderungen umgehen.

Mut bewiesen hat zuletzt Franz Müntefering. Der Minister, der vielen als Bewahrer, als Verkörperung des Sozialdemokratischen schlechthin gilt, will die Rente mit 67 schneller einführen als erwartet. Kaum hatte Müntefering das ausgesprochen, hagelte es Proteste aus SPD und Union. Dabei verdient der Vizekanzler Anerkennung, weil er als einer der Ersten das Problem anpacken will, dass die Deutschen zwar immer länger leben, aber immer kürzer arbeiten.

Schuld sind auch Tarifparteien

Die Statistik zeigt: In Deutschland hat heute nur gut ein Drittel der 55- bis 64-Jährigen einen Job - der Rest ist arbeitslos oder in Frührente. Das ist für die Betriebe schlecht, weil sie auf Wissen und Erfahrung von Älteren verzichten. Es ist für die Betroffenen schlimm, weil sie sich ausgegrenzt fühlen. Und es ruiniert die Sozialsysteme, weil die Kosten für Rente und Arbeitslosigkeit explodieren.

An einer längeren Lebensarbeitszeit führt daher nichts vorbei. Die Idee wird auch dadurch nicht falsch, dass Firmen heutzutage über 50-Jährige selten einstellen und sie lieber früh in den Ruhestand schicken. Das stimmt zwar, aber wie ist es dazu gekommen? Schuld sind auch Tarifparteien und Regierungen aller Couleur, die in den vergangenen Jahrzehnten die Beschäftigung älterer Menschen ständig erschwert und ihre Entlassung erleichtert haben.

Ende des Jugendwahns

Ein Beleg dafür ist die aktuelle Arbeitslosenstatistik. Die Zahl der Erwerbslosen ist im Januar auch deshalb über die Fünf-Millionen-Marke geklettert, weil Betriebe ältere Arbeitnehmer zuletzt verstärkt gekündigt haben. Schmackhaft gemacht wurde der vorgezogene Ruhestand den Betroffenen auch mit Verweis auf eine auslaufende Regelung, die Älteren einen längeren Bezug von Arbeitslosengeld erlaubt als jüngeren Kollegen.

Zum Februar ändert sich das, dann bekommen auch ältere Erwerbslose höchstens noch 18 statt wie bisher bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld. Prompt haben sich im Januar von denen, die 45 Jahre und älter sind, 30.000 mehr erwerbslos gemeldet.

Das sind die Folgen von Fehlentscheidungen der Sozialpolitiker. Auch in Tarifverträgen gelten für Ältere Privilegien, die einst gut gemeint waren, die sich nun aber häufig ins Gegenteil verkehren: Viele Firmen schrecken davor zurück, ältere Mitarbeiter einzustellen.

Die Koalition sollte Müntefering folgen

Noch dazu hat die staatlich subventionierte Frühverrentung in den Köpfen vieler Manager einen Jugendwahn befördert, der es schon manchem 45-Jährigen schwer macht, einen Job zu finden. Politiker mögen die Betriebe heute dafür geißeln - den betroffenen Beschäftigten hilft das nicht mehr. Und auch künftig werden die Konzerne ihr Handeln an ihrer Rendite ausrichten und nicht an den Problemen der deutschen Rentenkasse.

Umso wichtiger ist, dass die Regierung den ihr verbliebenen Spielraum nutzt, um Menschen in Arbeit zu bringen. Dazu gehört das Senken der Lohnnebenkosten. Dazu gehört auch, Hürden zu beseitigen, die beispielsweise Älteren den Weg in einen Job versperren - mentale wie gesetzliche. Müntefering könnte glaubhaft für einen solchen Wandel stehen. Die große Koalition sollte ihm deshalb auf dem eingeschlagenen Weg folgen.

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