Kommentar:Eine Offensive der Politik

Nach den Luftschlägen müssen die Taliban nun auch wieder den diplomatischen Druck spüren.

Stefan Kornelius

(SZ vom 16.10.2001) - Alle Regionalkriege der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sie entweder schnell oder gar nicht gewonnen werden können. Insofern verwundert es nicht, wenn mit zunehmender Dauer der Luftangriffe die Ungeduld der Verbündeten mit den USA wächst.

Und es verwundert ebenfalls nicht, wenn selbst in Amerika nach einem vorzeigbaren Ergebnis des Bombardements gefragt wird. Zu sehen sind zwar zerstörte Rollfelder und Kasernen, explodierende Munitionslager und - ja, auch dies - zertrümmerte Wohnhäuser.

Aber noch immer kann al-Qaida zu Flugzeug-Kaperungen aufrufen, noch immer kann ein Taliban-Sprecher in schäumendem Ton die islamische Welt zum Massenaufstand im Namen eines totalitären Glaubens-Regimes aufwiegeln.

Die nimmermüden Mahnungen des amerikanischen Präsidenten zu mehr Geduld und Ausdauer helfen wenig: Die westliche Zivilisation möchte zwar befreit sein von der Terror-Bedrohung, aber sie möchte ebenfalls befreit sein von der Last eines Krieg, der wie alle Kriege dieser Welt auch Unschuldige das Leben kostet.

Nun stellt sich die Erkenntnis ein, dass beides zugleich nicht geht: die Befreiung vom Terror und die Befreiung von der Seelenlast.

Denn nach dieser Woche der Angriffe ist klar: Selbst wenn die Kampfflugzeuge nicht mehr flögen, würde der Terror nicht aufhören. Aufhören wird er (möglicherweise vorübergehend) nur, wenn das Taliban-Regime gestürzt und die Führung von al-Qaida verhaftet oder getötet ist.

Die Luftangriffe aber führen nur beschränkt zu diesem Ziel. Sie können die Taliban und ihre militärische Infrastruktur schwächen. Sie können sogar auf einen der politischen Führer zielen, wie unlängst den Mullah Omar, der nur knapp einem Angriff entkam. Aber der militärische Schlag kann nicht bewirken, was der politische Druck vermag.

Zweite Strategie

Deswegen ist es höchste Zeit, parallel zu den Luftschlägen eine zweite, politische Strategie stärker zur Geltung zu bringen, deren Fundament gleich nach den Terroranschlägen gelegt wurde: Die Koalitionsbildung gegen Afghanistan und die Isolation der Taliban, vor allem mithilfe der in Afghanistan rivalisierenden Gruppen.

US-Außenminister Colin Powell wird diese Strategie voranbringen wollen während seiner Reise in der Region. Ein starkes politisches Zeichen von Powell wird die Festigkeit der weltweiten Anti-Terror-Koalition stärken. Und ein Aufstand der afghanischen Gruppen gegen die Herrschenden würde ein mächtiges Signal an die übrige islamische Welt senden: Seht her, es ist möglich die Fanatiker in der eigenen Gesellschaft zu isolieren.

Dieser politische Teil der Strategie verlangt ebenso nach Ausdauer und Geduld. Und er kann die Luftschläge nicht völlig ersetzen, die nötig sind, um die Taliban ihres militärischen Unterdrückungspotentials zu berauben. Es ist dies eine unbefriedigende Zeit der Unsicherheit. Aber die Sicherheit würde nicht größer, wenn sich Amerika nun zurückzöge. Im Gegenteil: Zauderhaftigkeit wird von der bin-Laden-Gang als Einladung zu noch mehr Terror verstanden.

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