Kommentar:Eine Lawine des Zweifels rollt auf Bush zu

Der amerikanische Präsident hat mit dem Irak-Krieg viel riskiert und droht alles zu verlieren.

Von Stefan Kornelius

(SZ vom 4.10.2003) — Es ist die Stärke von Demokratien, dass so ziemlich jeder politische Extremismus ans Licht kommt und ein Urteil jenseits ideologischer Erhitzung möglich ist. Insofern arbeitet das amerikanische System nach wie vor gut, und vor allem funktioniert es bemerkenswert schnell.

Auch der ehemalige Waffeninspektor David Kay hat dem US-Kongress jetzt bestätigt, was sich seit Wochen zur Gewissheit verfestigt hat: Das Regime von Saddam Hussein verfügte nicht über ein funktionierendes Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, und es sind auch keine nennenswerten Mengen von biologischen und chemischen Kampfstoffen gefunden worden.

Das ist einerseits verwunderlich, weil so ziemlich alle Geheimdienste der Welt - inklusive des deutschen - fest davon ausgegangen waren, dass die nach dem Golfkrieg von 1991 katalogisierten Bestände ja noch irgendwo vorhanden sein müssten. Auch gab es ausreichend Indizien dafür, dass der Irak gerne neue Waffen produziert hätte.

Eine wichtige Lehre

Der Kay-Untersuchungsbericht hält andererseits eine wichtige Lehre parat: Jede Information der Geheimdienste muss politisch interpretiert werden. In Amerika ist genau dies geschehen - allerdings in manipulativer Absicht. Die Dossiers der CIA und der anderen Dienste wurden gebogen, gedreht, gefiltert und interpretiert, bis sie ins Bild der Irak-Hardliner passten.

Erschreckend ist also eine ganz andere Information, die dem Bericht unausgesprochen beiliegt: Wenn Material derart gefälscht und manipuliert wird, warum schreit dann niemand auf? Warum versagen die Kontrollen? Warum sind die Dienste nicht widerspenstiger? Wo bleibt die Opposition?

Der alarmistische Ton der Bushies, die schrille Beschwörung wenig greifbarer Gefahren, die komplette Leugnung komplizierter Probleme (wie die irakische Nachkriegsordnung) - all das hat Zweifel genährt, ob die USA wirklich noch über die Notbremse verfügen, die vernünftigen politischen Systemen eingebaut ist.

Ein paar Monate und einen Krieg später holt die amerikanische Demokratie nun nach, was sie in der Patriotismus-Welle und im Revanche-Wahn des 11.September versäumt hatte. Der Kay-Bericht ist da nur ein Steinchen in einer gewaltigen Geröll-Lawine, die sich auf Bush zu bewegt. Der Präsident durchlebt die schwierigste Phase seiner Amtszeit.

Die Zustimmung zu seiner Politik bröckelt, die Berichte über die Verwerfungen zwischen den Ministerien häufen sich, die Probleme im Irak und zu Hause in den USA sind gewaltig.

In dieser Phase, in der die Vorwahlzeit beginnt, haben sich die Demokraten - wenn auch reichlich zersplittert - aus ihrer Angststarre befreit. Es zeichnet sich eine harte ideologische Auseinandersetzung ab, die Dynamik bestimmen die Herausforderer.

Der Kay-Bericht, die täglichen Verlustmeldungen aus dem Irak, das hohe Haushaltsdefizit und die seltsame Steuerpolitik von Bush - alles fließt in die finale Kostenrechnung ein, die der Präsident mit seiner Erfolgsstory verrechnen muss. Bush hat - das wird sich in einem Jahr zeigen - knapp kalkuliert.

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