Kommentar:Die Politik hat verstanden

Nach dem Bundeskanzler hat endlich auch die Opposition ein Reformkonzept für die Sozialpolitik gefunden.

(SZ vom 06.05.03) - Die Einigung zwischen CDU und CSU kommt nicht zu früh. Wer sich hämisch über Gerhard Schröder und seine widerspenstige SPD auslässt, sollte besser selbst ein geschlossenes Bild bieten.

Lange war das nicht der Fall zwischen Edmund Stoiber und Angela Merkel und Friedrich Merz, zwischen Wirtschaftsbeirat und Sozialausschüssen. Jetzt endlich werden konkrete Alternativen angeboten. Bei genauem Hinsehen handelt es sich bei diesem Konzept der Unionsparteien allerdings nicht um eine Alternative zu jenem der Sozialdemokraten: Beide Parteien sind sich nämlich im Grundsatz weitgehend einig.

Der Versuchung die SPD links zu überholen

In der Union hat sich damit CSU-Chef Edmund Stoiber durchgesetzt. Für die Union insgesamt ist das eine Zäsur. Die Partei hat der Versuchung widerstanden, die SPD links zu überholen und mit der Unzufriedenheit im Land wider besseren Wissens für sich selber Stimmung zu machen. Die Übereinstimmung zwischen den Parteien sollte jenen Kritikern zu denken geben, die einen Ausverkauf des deutschen Sozialsystems argwöhnen.

Die Vorstellung, dass eine informelle große Koalition von ahnungslos-dreisten Politikern sich von der Wirtschaft in eine kollektive Zerschlagungs-Hysterie hineintreiben lässt, ist albern und beleidigend. Wenn Schröder sein Heil nun in der Agenda 2010 sucht und Stoiber trotz nahender Landtagswahl ähnliche Positionen bezieht, zeigt das vor allem eines: Nach quälenden Jahren des Herumdokterns an Symptomen hat die Politik den Ernst der Lage endlich verstanden.

Jedem Abschwung folgt ein Aufschwung

Deutschland geht es heute richtig schlecht. Damit ist weniger die gegenwärtige Lage gemeint. Die ist traurig genug, aber zum Glück konjunkturabhängig und wird sich wieder ändern nach dem Motto: Jedem Abschwung folgt ein Aufschwung. Die angestrebten Reformen werden daran wenig ändern, weder zum Guten noch zum Schlechten.

Die Arbeitsmarktprobleme des Jahres 2003 lassen sich mit keiner jener Maßnahmen lindern, die Schröder in seine Agenda 2010 gepackt hat oder die Union in ihr Konsens-Papier. Wohl aber würden die Reformen im Aufschwung Wirkung entfalten. Mehr noch: Nur wenn jetzt die Grundlagen gelegt werden, kann der nächste Aufschwung überhaupt nachhaltig sein. Der Sozialstaat, wie er in guten Jahren perfektioniert worden ist, ist nicht mehr zu finanzieren.

Nicht in der Konjunkturkrise, aber auch nicht danach. Der Arbeitsmarkt in seiner hoch regulierten Form vermag es nicht, neue Jobs zu schaffen. Reformen sind deshalb unausweichlich. Bereits die sich jetzt abzeichnenden sind hart genug und können doch erst der Anfang sein. Dabei nimmt die Union für sich in Anspruch, konsequenter zu sein als Schröder - was in der Summe nicht stimmt.

Der Druck muss steigen

Noch drückt sich auch die Union vor der letzten Konsequenz. Beispiel Arbeitslose: Man kann mit Recht beklagen, dass es ausgerechnet die besonders Gebeutelten zuerst trifft. Die Bezugszeit für Arbeitslosengeld soll nach beiden Konzepten massiv gekürzt werden. Die Kürzung ist dennoch berechtigt, weil Fordern heute wichtiger ist als Fördern. Es mag im Einzelfall anders sein, aber Statistiken und die allgemeine Lebenserfahrung zeigen: Erst muss der Druck steigen, bevor mit letzter Konsequenz nach einer neuen Stelle gesucht wird.

Die SPD geht an diesem Punkt weiter als die Union; hier hat Stoiber sich nicht voll durchsetzen können. Beispiel Rente mit 67: Die Rürup-Kommission hat eine Verlängerung der allgemeinen Lebensarbeitszeit ins Gespräch gebracht, die SPD-Spitze denkt darüber wohlwollend nach. Die CSU ist strikt dagegen, wohl auch aus Wahlkampfgründen. Zwar hat die Partei Recht mit der Feststellung, dass das tatsächliche Rentenalter heute maximal bei 60 Jahren liegt, vielfach deutlich früher. Mit ihrer Forderung, deshalb zunächst die Frühverrentung zu erschweren, springt die Opposition über ihren eigenen Schatten.

Schließlich war es eine Unionsregierung unter Helmut Kohl und Norbert Blüm, die diesen verhängnisvollen Weg eingeschlagen hat. Über die Frühverrentung sollte der Arbeitsmarkt entlastet werden - so die Idee. In Wirklichkeit haben die Unternehmen auf Kosten der Sozialkassen massiv Personal abgebaut. Das zu korrigieren, ist ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt.

An Rente mit 67 führt kein Weg vorbei

An der Rente mit 67 führt angesichts der demografischen Entwicklung schon in wenigen Jahren kein Weg mehr vorbei. Beispiel Kündigungsschutz: Eine Lockerung des Kündigungsschutzes, wie ihn SPD und Union planen, schafft neue Arbeitsplätze nicht von heute auf morgen. Sie schafft aber ein einstellungsfreundliches Klima in den Betrieben - und wird darüber hinaus Wirkung entfaltet, wenn sich weitere Reformen hinzugesellen.

Die Lohnfindung muss flexibilisiert, der Flächentarifvertrag weiter eingeschränkt werden. Arbeitslose brauchen bessere Möglichkeiten, unter Tarif wieder in den Markt zurückzufinden. Gefordert sind Maßnahmen, die nur im Konzert der beiden großen Parteien Chancen auf Realisierung haben. Je größer und einmütiger das Reformprogramm am Ende dieses Jahres, desto größer auch seine Wirkung. Erst dann wird die deutsche Wirtschaftspolitik wirklich wieder sozial sein.

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