Kommentar:Die Grausamkeiten

Der Bundeshaushalt muss saniert werden und er kann nicht mit Nettigkeiten saniert werden. Trotzdem sei auf einige Unverschämtheiten hingewiesen.

Nikolaus Piper

Wer einen fremden Staat erobert, sollte alles Schlimme, was er dessen Bürgern anzutun gedenkt, schnell hinter sich bringen und keine Wiederholungen zulassen.

So schrieb Niccolò Machiavelli vor 500 Jahren in Florenz. Sollte der Eroberer gegen diese Regel verstoßen, werde er sich auf seine Untertanen nie verlassen können; er müsse dann "immer das Messer in der Hand halten".

Diese Weisheit des Renaissance-Denkers - verkürzt zu der platten Aussage "Grausamkeiten muss man sofort begehen" - hat in den modernen Demokratien eine erstaunliche Karriere gemacht.

Jeder kennt sie, vielen gilt sie als Einladung zu hemmungslosem Zynismus, zur Spekulation auf die Vergesslichkeit der Wähler.

"Heulen und Zähneklappern"

Wenige Tage nach der Vereidigung von Kanzlerin Angela Merkel und zwei Monate nach der Bundestagswahl wird jetzt klar, welche Grausamkeiten wirklich auf die Bundesbürger zukommen: 83 Milliarden Euro werden sie in den nächsten vier Jahren von Staats wegen weniger haben - entweder, weil der Bund das Geld einspart oder aber, weil er die Steuern entsprechend erhöht.

"Heulen und Zähneklappern" wird es geben - wer wollte Roland Koch da widersprechen? Der Bundeshaushalt muss saniert werden und er kann nicht mit Nettigkeiten saniert werden, wohl wahr.

Und laut Machiavelli sollte ein regierender Fürst auch ungeniert lügen, wenn es sein muss. Trotzdem sei auf einige Unverschämtheiten hingewiesen: Finanzminister Steinbrück legt jetzt die Giftlisten vor, von denen sein Vorgänger Eichel immer behauptet hat, es gebe sie nicht.

Gestrichen werden etliche der Steuervergünstigungen, die auch der verunglückte Wahlkämpfer Paul Kirchhof hatte streichen wollen, was ihm dann zum Verhängnis wurde.

Nur wollte Kirchhof all die Vorteile kürzen, um damit niedrigere Steuersätze zu finanzieren. Jetzt dienen die Streichungen der reinen Haushaltssanierung.

Entscheidend ist, wie es jetzt weitergeht. Und da lässt sich die Sache mit Machiavelli und den Grausamkeiten durchaus ökonomisch deuten.

Die Grausamkeiten

Jeder Finanzminister, der einen maroden Haushalt sanieren will, muss "grausam" sein, also den Bürgern Geld wegnehmen.

Der Erfolg der ganzen Operation hängt davon ab, wie die Opfer darauf reagieren: Rechnen sie mit einem Schrecken ohne Ende, stellen sie sich auf immer weiter sinkende Einkommen ein, dann geben sie weniger für Konsum und Investitionen aus und die Spirale dreht sich weiter nach unten.

Hochriskante Wette

Sind die Grausamkeiten jedoch begrenzt und sehen die Bürger deren Sinn ein, dann kann Vertrauen wachsen, dann dreht sich das Klima in der Wirtschaft ins Positive.

Die neue Regierung ist in dieser Hinsicht eine hochriskante Wette eingegangen. Nach ein paar positiven Maßnahmen im nächsten Jahr, zum Beispiel der Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, kommt die größte Grausamkeit am 1. Januar 2007 mit einjähriger Verspätung: die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte.

Bis dahin kann die Konjunktur so stark geworden sein, dass ihr der Aderlass nichts mehr ausmacht. Wahrscheinlicher ist jedoch das Gegenteil: Wachstum, Beschäftigung und Steuereinnahmen gehen wieder zurück.

Neu rechnen, neu kürzen

Dazu kommt, dass der Bundeshaushalt bei allen Einschnitten noch relativ optimistisch gerechnet ist. Kommt etwas Unvorhergesehenes dazu, zum Beispiel ein Anstieg der Zinsen, dann muss Steinbrück neu rechnen und vielleicht neu kürzen. So entsteht kein Vertrauen.

Zumindest so viel lässt sich heute sagen: Die Wirtschaft traut dem Frieden noch nicht.

Die Grausamkeiten

Der Index für das Geschäftsklima in Deutschland, den das Münchener Ifo-Institut regelmäßig ermittelt, ist im November trotz sonst guter Rahmendaten zurückgegangen - ein massives Misstrauensvotum für Angela Merkel und ihr schwarz-rotes Kabinett.

Die Sanierung des Haushalts kann nie das alleinige Ziel einer Regierung sein. Sie gelingt nur, wenn die Volkswirtschaft aus den Problemen hinauswachsen kann.

Das zeigen die Erfahrungen der Reformer in anderen Ländern. Umgekehrt kann eine falsche Finanzpolitik das Land in anhaltende Stagnation treiben, wie das Beispiel Japan in den neunziger Jahren gezeigt hat.

Ein paar soziale Girlanden

Die Logik der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD hat nun dazu geführt, dass die Grausamkeiten im Bundeshaushalt nur mit ein paar sozialen Girlanden versehen wurden. Die Reichensteuer schadet zwar vermutlich nicht viel, sie bringt aber auch kaum etwas. Und sie erweckt den Eindruck, als wüssten die Regierenden nicht, worauf es ankommt.

Ausgespart wurde vor allem die nachhaltige Entlastung des Arbeitsmarkts, die Senkung der Lohnnebenkosten. Schafft es die Regierung nicht, die Arbeitslosigkeit substanziell zu senken, ist sie gescheitert - vor ihren Wählern, aber auch bei der Haushaltskonsolidierung.

Deshalb sind liberale Reformen auf dem Arbeitsmarkt keine unsoziale Härte, sondern notwendiger Teil eines Programms für mehr Beschäftigung. Anders gewendet: Haushaltskonsolidierung ohne Reformen und ohne marktwirtschaftliche Perspektive ist die grausamste aller Alternativen.

Sie führt dazu, dass die Grausamkeiten letztlich umsonst waren. Es bleibt jetzt nur, auf die Lernfähigkeit der neuen Koalition zu setzen.

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