Kommentar:Die Fakire von Karlsruhe

Die juristischen Qualitäten des Bundesverfassungsgerichts sind über jeden Zweifel erhaben; Ausnahmen bestätigen die Regel.

Heribert Prantl

(SZ vom 23.7.2003) - Zu diesen zählen seine Entscheidungen in Sachen Ausländer, Asyl und Abschiebung. Hier kann man den Eindruck richterlicher Bewusstseinstrübung haben, einhergehend mit verwirrter Logik.

Erstmals manifest war dies bei der großen Asylentscheidung im Mai 1996, als das Gericht den Satz aufstellte, die Herkunftsstaaten von Flüchtlingen seien dann sicher, wenn und weil deutsche Behörden sie zu sicheren Staaten erklärt hätten. Wären diese Staaten unsicher, so die Richter, hätten die Behörden sie nicht für sicher erklärt.

Ähnlich überzeugend ist der Beschluss, mit dem man soeben die Abschiebung eines mutmaßlichen Straftäters nach Indien gebilligt hat: Es sei zwar bekannt, dass Folter dort, obgleich verboten, "eine häufig angewandte Vernehmungsmethode" sei. Dies stehe aber der Abschiebung nicht entgegen; es gebe ja den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag. Dieser wäre, so die Richter, nicht geschlossen worden, wenn es in Indien besonders inhuman zuginge. Also hielten sie die Auslieferung ohne Aufklärung des Einzelfalls für zulässig. Sie nahmen das Papier für die Wirklichkeit.

Das heißt nicht, dass sich eine Abschiebung nach Indien generell verbietet; aber ein wenig Prüfung möcht' schon sein. Vielleicht käme sie zum Ergebnis, dass nur unter bestimmten Zusicherungen ausgeliefert werden darf. Das Schicksal des Inders Daviner Pal Singh dürfte kundigen Verfassungsrichtern nicht unbekannt sein. Singh war ohne weitere Prüfung abgeschoben worden. Noch auf dem Flughafen Neu Delhi wurde er verhaftet - und dann zum Tode verurteilt.

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