Kommentar:Bündnis ohne Vision

Es ist erschreckend, wie leichtfertig Union und SPD derzeit an der Steuerschraube drehen. Und es ist bedenklich, wie wenig ökonomischen Sachverstand sie dabei zeigen. Auf fatale Art und Weise sind die Verhandlungen über eine große Koalition zu schnöden Haushaltsberatungen verkommen. Keine Vision, kein Leitbild für dieses Bündnis ist derzeit erkennbar, es sei denn höhere Steuern.

Ulrich Schäfer

Noch kurz vor der Wahl hatte Franz Müntefering verkündet, es werde mit der SPD keinerlei Anhebung der Mehrwertsteuer geben: nicht heute, nicht in den nächsten Jahren und auch nicht in einer großen Koalition. Völlig zu Recht warnten die Sozialdemokraten auf Flugblättern und Plakaten, solch ein Schritt werde die Binnennachfrage und damit den Aufschwung abwürgen.

Doch es scheint, als hätten die Genossen dies verdrängt. Es scheint, als wollten weder sie noch die Union wahrhaben, was Mitte der 90er Jahre in Japan geschah: Dort hatte die Regierung nach Jahren des Siechtums die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöht und damit die Krise des Landes verlängert. Interessiert alles nicht. Die SPD beugt sich der Koalitionsräson.

Erhöhe ich deine Steuer, erhöhst du meine Steuer!

Der Preis, den die Genossen dafür fordern, ist ebenfalls politisch, und nicht ökonomisch begründet: Die Einkommensteuer für Topverdiener soll steigen. Der eigenen Klientel hat man es versprochen, nun soll die Union dies bitte akzeptieren, auch wenn es nicht viel Geld bringt. Für die große Koalition, von der man mal dachte, nur sie sei fähig zum Sparen, gilt offenbar das Prinzip: Erhöhe ich deine Steuer, erhöhst du meine Steuer!

Fatal ist dabei, dass die Koalitionäre ausgerechnet jene Abgaben erhöhen, die den Konsum belasten, und jene aussparen, die am Vermögen der Deutschen ansetzen, wie die Erbschafts- oder Grundsteuer. Letztere sind in den Kernländern des Kapitalismus, in den USA und in Großbritannien, weitaus ergiebiger.

Die Fünf Weisen werden diese einfältige Politik nach allem, was man aus ihrem unveröffentlichten Gutachten weiß, am Mittwoch geißeln. Sie werden vorrechnen, dass sich 25 Milliarden Euro einsparen lassen, wenn man nur will, vor allem bei Subventionen und Steuerschlupflöchern oder durch Reformen in den Sozialsystemen. Dies wäre für die Konjunktur schonender und bedeutete zugleich die Abkehr von einer Politik, die nach Gutdünken Geld verteilt, weil sie es gerade für richtig hält.

Die große Koalition müsste unnütze Beihilfen zusammenstreichen und Steuervergünstigungen in großem Umfang kappen, die Pendlerpauschale ebenso wie die Vorteile für Steuersparfonds oder Reedereien. Auch bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV, deren Ausgaben zwölf Milliarden Euro über Plan liegen, kann man mehr als jene 1,8 Milliarden Euro holen, die die zuständige Arbeitsgruppe ausgerechnet hat.

Spar- und Wachstumspakt

Doch den Koalitionären scheint nichts anderes einzufallen, als das Delta zu vermessen, das zwischen Ausgaben und Einnahmen klafft, ein paar neue, teure Programme obendrauf zu packen und in diesem Maße die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Zwei Punkte? Drei Punkte? Oder gar vier? Egal. Hauptsache, man bekommt die 35 Milliarden Euro zusammen, die fehlen, um im übernächsten Jahr wieder den Stabilitätspakt einzuhalten.

Schon über diese rein fiskalische Zielvorgabe lässt sich streiten. Denn man sollte den Brüsseler Pakt nicht nur als Spar-, sondern auch als Wachstumspakt verstehen. So ist das Defizitkriterium von drei Prozent der Wirtschaftsleistung - mathematisch betrachtet - ein Bruch mit zwei Komponenten, die sich beide beeinflussen lassen. Überm Bruch steht die Neuverschuldung, unten drunter die Wirtschaftsleistung.

Wer die Relation verändern will, kann oben ansetzen und sich aufs Kürzen und auf Steuererhöhungen beschränken. Wer intelligent ist, wird dagegen auch unten ansetzen und die ökonomische Leistungsfähigkeit stärken, die Deutschland als drittgrößte Industrienation der Welt besitzt.

Die Regierung Merkel müsste also wenigstens einen Teil jener Reformen angehen, die die deutsche Wirtschaft dauerhaft auf einen höheren Wachstumspfad bringen. Sie müsste zum Beispiel im Gesundheitswesen den Kassen, Ärzten, Apotheken und der Pharmaindustrie mehr Wettbewerb zumuten. Sie müsste die Märkte für Strom, Gas und Schienenverkehr weiter öffnen und verhindern, dass im Telekom-Sektor der Wettbewerb wieder eingeschränkt wird, weil es der frühere Staatsmonopolist will. Union und SPD müssten zudem das komplizierte Arbeits- und Abgabenrecht vereinfachen und die Steuersätze für Firmen schnell senken; dies würde im Ausland als Signal verstanden, selbst wenn die Steuerlast unterm Strich nicht sinkt.

Solche Maßnahmen wirken nicht von heute auf morgen. Deshalb kann auch die Sanierung der Staatsfinanzen nicht binnen eines Jahres gelingen. Merkel und ihre Koalition müssten dies den EU-Stabilitätswächtern klar machen. Stattdessen versuchen sie es mit ökonomisch unsinnigen Steuererhöhungen. Solch eine Politik wird scheitern, weil sie lähmt und nicht beflügelt. Und so könnte es sein, dass in zwei Jahren ausgerechnet eine Unions-Kanzlerin einräumen muss, dass der von der Union mit erfundene Stabilitätspakt tot ist, weil Deutschland ihn auf Jahre hin nicht einhalten kann.

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