Kolumne:Staatstheater

Gauß

Karl-Markus Gauß, 63, ist österreichischer Schriftsteller und Essayist. Er lebt in Salzburg.

Österreich präsentiert den Zuschauern ein pädagogisches Stück über zwei junge Flüchtlinge - und nimmt dem Publikum das Denken ab.

Von Karl-Markus Gauß

Österreich ist ein Theaterland, kein Wunder, dass auf dem nationalen Programm periodisch Stücke stehen, die dem Genre der Staatsposse zuzurechnen sind. Deutsche Schauspielerinnen und Regisseure, die ein paar Jahre in Österreich gewirkt haben, schwärmen im Nachhinein gerne von einer Sache, die sie einst befremdet oder verstört hat: dass nämlich viele Österreicher, die niemals ein Theater besuchen, heftig über Aufführungen des Burgtheaters streiten können, und Theaterstücke eine Öffentlichkeit erregen, die sich sonst gleichmütig in jeden Skandal fügt.

Das Theater, das um das Theater gemacht wird, ist ein Erbe von Gegenreformation und Barock, als die katholische Obrigkeit entdeckte, dass das Volk eher mit theatralischer Belustigung, krachendem Spektakel und großem Bühnenzauber zu beeinflussen war als mit strenger Belehrung. Bis weit ins 19. Jahrhundert war das Theater ein Ort, an dem in staatlichem Auftrag Unterhaltung geboten wurde, die oftmals derb geriet und gerade damit die Bevölkerung mit der herrschenden Ideologie zu versöhnen trachtete. Gar nicht so wenige Stücke spielten sich jedoch gewissermaßen von ihrem Auftrag frei und huldigten fast unbeabsichtigt einer sinnenfrohen Renitenz.

Einfache Welt: Der gute Syrer Nadim trifft auf den bösen Afrikaner Mojo

Das kann man einem Stück nicht attestieren, das derzeit unter dem Titel "Welt in Bewegung" an etlichen Schulen des Landes gegeben wird. Es handelt sich dabei um ein staatspädagogisches Theater der neuen Art, dessen Auftraggeber der letzte Innenminister und jetzige Präsident des Nationalrats, Wolfgang Sobotka, war. Dieser ist selbst ein abgründiger österreichischer Volkscharakter, musiziert der ausgebildete Cellist und Dirigent, der sich in seinem Hauptberuf als Politiker mitunter einer an Grobheit schwer zu überbietenden Rhetorik befleißigt, in seiner Freizeit doch mit Chor und Orchester. So hat er mit einem renommierten Ensemble aus Bratislava auch eine Einspielung von Mozarts "Eine kleine Nachtmusik" dirigiert, die ausgerechnet in "Wilde Maus", einem Kinofilm des wahrlich nicht für seine Botmäßigkeit bekannten Josef Hader, zu hören ist. Wie es die Wahrheit von Klischees schon so will, ist das ganze Land eben irgendwie eine Bühne.

Als er noch Innenminister war, verkündete Sobotka mit energischer Monotonie, dass das Demonstrationsrecht verschärft, die Polizei aufgestockt, die Asylschwindler enttarnt werden müssten, aber dann besann er sich der besseren österreichischen Herrschaftstradition und gab ein Theaterstück in Auftrag. Nicht etwa an einen Dramatiker oder eine Theaterautorin, von denen es in Österreich genügend gäbe, sondern an eine Agentur, die den Auftrag so ernst nahm, dass sie dem jungen Publikum mit einem Lehrstück nicht nur das Denken abnehmen, sondern diesem gleich noch das Urteil über die dargestellten Ereignisse vorgeben wollte.

Zwei junge Flüchtlinge sind es, die, ja, vorgeführt werden: der Syrer Nadim, der um sein Leben fürchten musste, und Mojo, der aus keinem bestimmten Land, sondern schlichtweg aus "Afrika" stammt, und sich nur um eines besseren Lebens willen auf den gefährlichen Weg nach Österreich begeben hat. Der eine rettete in seiner vom Krieg verwüsteten Heimat einen österreichischen Reporter aus größter Bedrängnis, lernt fleißig Deutsch, weiß die Vorzüge der Demokratie vom ersten Tag an zu schätzen, wird dereinst ein berühmter Maler und, was viel schwerer ist, ein echter Österreicher werden. Der andere glaubt hingegen allen Lügen der Schlepper, verlangt in Österreich gleich mit ausreichend Geld für seinen afrikanischen Clan ausgestattet zu werden und lässt sich am Ende vom sogenannten Islamischen Staat als Helfershelfer anheuern. Die Konstellation ist aufdringlich genug gesetzt und lautet: hier der dankbare echte Flüchtling, dort der undankbare illegale Wirtschaftsmigrant.

Auch wenn jedermann verstehen wird, dass Österreich nicht alle Armen Afrikas aufnehmen kann, ist doch die Wut, mit der in Österreich gegen jene mobilisiert wird, die aus wirtschaftlichen Überlebensgründen nach Europa gelangen wollen, merkwürdig genug. Immerhin sind über die Generationen aus Österreich Hunderttausende ausgewandert, um der Not zu Hause zu entrinnen. Deswegen liegt die größte burgenländische Stadt heute auch nicht in Österreich, sondern in den USA, leben in Chicago doch mehr Menschen mit burgenländischen Wurzeln als in der Hauptstadt des Burgenlands, dem schönen Eisenstadt. Mojo, den Afrikaner, könnten wir uns also durchaus als tüchtigen Burgenländer in den USA vorstellen, aber so viel Würde wird ihm nicht zuteil.

Die beiden Hauptfiguren wurden nur ersonnen, um plakativ diese Vorgabe zu illustrieren: auf die wenigen Kriegsflüchtlinge, die tatsächlich unseres Schutzes bedürfen, kommen, sagen wir nach neuester deutscher Messung, 95 Prozent kriminelle Einwanderer in unser Sozialsystem. Um den guten Nadim und den bösen Mojo sind einige Figuren gruppiert, von denen keine ein Individuum mit seinem Widerspruch sein darf, sondern alle nur einen Typus repräsentieren müssen: die Frau, die als hysterischer Gutmensch Österreich am liebsten zur afrikanischen Kolonie machen und dabei mit Lehrgängen wie "Yoga für Flüchtlinge" ihr eigenes Geschäft betreiben möchte; die alte Dame, die aus nichts als ihren Ressentiments gegen alle Fremden besteht; der wackere Kriegsberichterstatter, dem Illusionen fremd sind ... Das Stück übererfüllt seinen ministeriellen Auftrag; um moralischen Schaden, den sie nehmen könnten, von ihnen abzuwenden, möchte ich es daher für Zuschauer unter 18 Jahren nicht freigeben.

Kolumne von Karl-Markus Gauß
Gauß

Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, ist österreichischer Schriftsteller und Essayist. Er ist Herausgeber der Zeitschrift "Literatur und Kritik" und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Alle Kolumnen von ihm lesen Sie hier.

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