Politische Einflussnahme:Anfang vom Ende des ORF

Austria's Chancellor Kurz and Vice Chancellor Strache address a news conference in Vienna

Die Regierung von Kanzler Kurz und Vize Strache nutzt ihren Einfluss, um den ORF zu kontrollieren.

(Foto: REUTERS)

Die rechte FPÖ mischt den Österreichischen Rundfunk auf. Neu ist nicht, dass die Regierung politischen Einfluss nimmt, neu ist, dass sie dem ORF schadet.

Gastbeitrag von Karl-Markus Gauß

Zerstreut wie ich war, habe ich in den letzten Wochen ein paar Mal den falschen Fernsehsender erwischt und bin in Sendungen ungarischer, slowakischer, polnischer Stationen geraten. Da hörte ich einen älteren Herrn verärgert klagen, dass die Journalisten des Landes "unbotmäßige Fragen" an die Regierenden stellten und "unausgewogen" über autoritäre Politiker und deren illiberale Pläne berichteten; also journalistisch nicht objektiv darlegten, was für die Abschaffung der Demokratie und was gegen sie spreche. Dann vernahm ich seine dringliche Warnung an alle Korrespondenten des Fernsehens, sich entweder in ihrer kritischen Berichterstattung zu zügeln oder darauf einzustellen, demnächst einen neuen Arbeitsplatz zu benötigen. Unerhört, dachte ich mir, was bei unseren Nachbarn vorgeht!

Doch dann fiel mir auf, dass ich die Tiraden des erbosten Herrn ohne Weiteres verstanden hatte, weil er sie gar nicht auf Polnisch, Slowakisch oder Ungarisch gehalten hatte, sondern in einem vertrauten Wienerisch. Der Mann, den ich für einen Repräsentanten der polnischen Pis, der slowakischen Smer oder der ungarischen Fidesz gehalten hatte, war ein Landsmann von mir. Norbert Steger, einst Vorsitzender der FPÖ, hat es trotz der ungezähmten Aggressivität, mit der er sich als Kandidat präsentierte, kürzlich im ORF zum Vorsitzenden des Stiftungsrates gebracht. Dieses Amt befugt ihn keineswegs, die Arbeit der Redakteure zu benoten oder dem ORF Vorschriften zu machen. Hingegen wäre es seine Pflicht, die Interessen der öffentlich-rechtlichen Anstalt zu verfechten, etwa gegenüber den aufbegehrenden Privatsendern, die den ORF gern als "Staatsfunk" verächtlich machen, der von der Bevölkerung unverschämte "Zwangsgebühren" erhebe. Steger aber hat angekündigt, dem Unternehmen, das er unterstützen sollte, lieber "erzieherisch" zu begegnen, er hält sich also für einen nationalen Schulmeister, dem es zusteht, Redakteure für Botmäßigkeit zu belohnen, für Unbotmäßigkeit zu bestrafen.

"Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist", dieser Satz ist dem sonst so kontrollierten Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) in einer Fernsehdebatte mit dem Grünen Van der Bellen gleichsam widerfahren; und weil er vielen Zusehern nach einer gefährlichen Drohung klang, hat er Hofer wohl die Wahl gekostet. Wundern, was alles möglich ist in Österreich, muss man sich dennoch. Denn die Rasanz und Unerbittlichkeit, mit der jetzt in alle Positionen, die im staatlichen Bereich zu vergeben sind, Parteigänger von ÖVP und FPÖ gehievt werden, hat etwas geradezu Demonstratives, Provokantes: als würde man seinen Anhängern wie Gegnern zeigen wollen, was alles möglich ist, wenn man es nur wirklich will.

Die Republik wird umgefärbt, was sprachlogisch allerdings auch bedeutet, dass sie bereits vorher bestimmte Farben trug. Seit 1945 haben sich die zwei Großparteien das Land bis in die entlegenen Provinzen aufgeteilt. Auf jeden Schwarzen, der irgendwo etwas wurde, kam ein Roter, der anderswo seinen Posten erhielt. Ob es sich um die Nationalbank oder eine Dorfschule handelte, noch vor ihren Fähigkeiten wurde die Parteizugehörigkeit der Kandidaten überprüft, die sich um die Stelle des Direktors bewarben. Die "Proporz" genannte Aufteilung des Staates war ein zentrales Element der sogenannten Realverfassung Österreichs; denn natürlich stand in keinem amtlichen Dokument, dass es das Recht der beiden Großparteien wäre, sich das Land in einträchtiger Feindschaft aufzuteilen. Dass nun auch die FPÖ ihren Beuteanteil an der teuren Heimat haben möchte, braucht weder zu verwundern noch jene zu empören, die es bisher für ein Erbrecht ihrer Partei hielten, die eigenen Leute zu Direktoren, Präsidenten, Managern der staatlichen und staatsnahen Unternehmen zu machen.

Und doch überbietet das, was jetzt geschieht, den gewohnten Proporz. Was den ORF anbelangt, hatten sich bisher alle Vorsitzenden des Stiftungsrates, gleich welcher Partei sie zugehörten, immerhin zu seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag bekannt und das Redakteursstatut respektiert. Neu ist nicht, dass die Regierung politischen Einfluss auf den ORF nehmen möchte; das haben alle Regierungen vorher auch getan, und gerade Bruno Kreisky, der bedeutendste Politiker der Zweiten Republik, hat energisch versucht, den ORF an die Kandare zu nehmen. Neu ist vielmehr, dass die Regierung diesen Einfluss dafür nützt, den ORF zu schädigen.

Wie in vielen anderen Bereichen teilen sich die Koalitionspartner dabei klug die Arbeit. Die Freiheitlichen sind für Rabauke zuständig, während die ÖVP es sprachlich unaufgeregt, aber inhaltlich durchdacht und radikal angeht. Steger mag über den "linken Endkampf" in Radio und Fernsehen bramarbasieren und sich nützlich machen, indem er für ablenkenden Krach sorgt. Der für Medien zuständige Minister der ÖVP entwickelt derweilen nahezu unbemerkt das Konzept einer "Private Public Partnership", die dem ORF Kernbereiche seiner Tätigkeit entreißen und diese den privaten österreichischen Sendern - übrigens meist Filialen deutscher Medienkonzerne - übergeben würde. Dafür soll der zerzauste Staatsfunk nicht mehr aus den unpopulären "Zwangsgebühren" finanziert werden, sondern aus dem Budget der Regierung, die damit über die Finanzen unmittelbaren Druck auf den Betrieb ausüben könnte.

Der ORF hat in den letzten Jahren viel an Ansehen verloren, nicht nur, aber auch aus eigenem Versagen. So hat er auf die kulturelle Infantilisierung, wie sie etliche Privatsender propagieren, falsch reagiert, indem er diese mit aufsehenerregend dummen Shows und Serien zu überbieten versuchte. Die Frage, wie sich Fernsehen in der Ära der sozialen Netzwerke behaupten könne, hat er sich zu spät gestellt, eine Antwort darauf kennt aber ohnedies noch niemand. Wenn der ORF jetzt auch noch von jenen verraten wird, die für ihn einstehen müssten, wird nicht viel übrig bleiben, für das es lohnt, ihn zu verteidigen.

Kolumne von Karl-Markus Gauß
Gauß

Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, ist österreichischer Schriftsteller und Essayist. Er ist Herausgeber der Zeitschrift "Literatur und Kritik" und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Alle Kolumnen von ihm lesen Sie hier.

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