Kolumne:Rechts

Emcke, Carolin

Carolin Emcke, 51, ist Autorin und Publizistin. 2016 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Menschen, die Brandsätze in Flüchtlingsheime werfen, sind nicht "das Volk", sondern eine die offene Gesellschaft terrorisierende Minderheit.

Von Carolin Emcke

Gleich zu Beginn des Films "Der Stadtneurotiker" von Woody Allen aus dem Jahr 1977 wendet sich die Hauptfigur, der Komiker Alvy Singer, direkt an die Zuschauer und beschreibt, wie er sich selbst sieht: "Ich bin kein mürrischer Typ, ich bin kein depressiver Charakter, ich . . . wissen Sie . . .", erläutert er, hält kurz inne und fügt dann mit Nachdruck hinzu: "Ich war ein ziemlich glückliches Kind." Es folgt eine Rückblende, und man sieht den jungen Alvy (mit leuchtend roten Haaren und der riesigen Hornbrille) schwermütig in einem Sofa hängend, neben ihm seine aufrecht sitzende, aufgeregte Mutter, die dem Psychotherapeuten erklärt: "Er ist deprimiert. Ganz plötzlich kann er überhaupt nichts mehr tun." Als der Therapeut den Jungen selbst fragt, warum er denn deprimiert sei, antwortet Alvy: "Das Universum dehnt sich aus. Irgendwann wird es auseinanderbrechen, und das ist dann das Ende von allem."

Vorsicht bei diesem Satz: "Ich habe nichts gegen Ausländer"

Ob Alvy meint, schwermütige Charaktere seien nicht besonders beliebt, und er seine Disposition deswegen leugnet oder ob Alvy tatsächlich glaubt, er sei ein "ziemlich glückliches Kind" gewesen, erfährt der Zuschauer nicht - nur dass Selbstbeschreibung und Realität offensichtlich grotesk auseinanderklaffen. Die subjektive Wahrnehmung ist ungefähr so akkurat, als hätte Casanova erklärt, erotisch appetitlos zu sein.

"Ich bin kein mürrischer Typ, ich bin kein depressiver Charakter", fällt mir diese Tage immer ein, wenn irgendwo gerade wieder ein Anschlag auf ein Asylbewerberheim verübt oder ein Schweinskopf mit fremdenfeindlicher Aufschrift vor einer Moschee abgelegt wurde und jemand an den Zuschauer gewandt mit Nachdruck erklärt: "Wir sind nicht rechts." Oder: "Ich hab nichts gegen Ausländer."

Manchmal, das macht es nicht besser, sagen es die Nachbarn oder Bürgermeister, aus welchen wohlmeinenden Motiven heraus auch immer: "Das sind keine Rechten." Was sie meinen damit, ist vermutlich: Die Täter sind ganz normal. Nicht anders als die anderen. Nicht auffällig. Die haben auch eine Katze, die sie füttern, oder eine kleine Schwester, mit der sie spielen. Als hätte das jemals jemanden davon abgehalten, andere zu diffamieren oder zu quälen. "Das sind keine Rechten", das soll wohl auch heißen: Hier gibt es kein strukturelles Problem. Als seien dies spontane, kontextlose Einzelfälle. Ohne Gesinnung und ohne Aufforderung durch all die Reden in Talkshows und auf öffentlichen Plätzen, die Geflüchtete als minderwertig oder gefährlich konstruieren. Als gäbe es die propagierte Vorstellung nicht, dass Geflüchtete jene seien, die man straflos anschreien und angreifen dürfte.

Es scheint irrelevant zu sein, ob jemand Menschen, die anders sprechen, anders glauben, anders trauern oder anders lieben als der eigene Clan, für minderwertig und rechtelos hält, ob ethnos und demos verwechselt werden, ob eine imaginierte, völkische Identität der gesellschaftlichen Wirklichkeit einer offenen Demokratie vorgezogen wird, ob Flüchtlingsunterkünfte Nacht für Nacht angezündet werden, ob gegen sämtliche Institutionen eines Rechtsstaats - gegen die Regierung, gegen das Parlament, gegen die Presse, gegen das Verfassungsgericht, gegen das staatliche Gewaltmonopol überhaupt - agitiert wird. Ganz zu schweigen von den Individuen, die zu Kollektiven gepresst und als angeblich "fremd", "abartig", "widernatürlich" oder "gefährlich" abgelehnt werden. Es scheint irrelevant zu sein, ob es Einzelne sind oder eine Gruppe, die mit ihrer Sprache und ihren Aktionen Angst und Schrecken verbreiten, die Aggression und Gewalt als "Notwehr" verkleiden und sich selbst als "besorgte Bürger", als "Opfer" behaupten oder die, einfach mal so, einen Molotow-Cocktail in ein bewohntes Haus werfen, als ob man keinen Grund bräuchte, solange Hass und Gewalt sich nur gegen Wehrlose richten.

Ich bin kein depressiver Charakter. Es hat halt nur alles keinen Sinn, weil das Universum sich ausdehnt. Wir sind nicht rechts. Wir zünden halt nur Häuser von Flüchtlingen an. Wie viele Sätze, Aussagen, Reden, wie viele Handlungen sind eigentlich nötig, damit etwas als rechts gelten kann? Wo "Ich bin kein Rassist" draufsteht, ist eben allzu oft leider doch ein Rassist darin. Was ist nötig, damit dieser rhetorische Ringelreigen aufhört, in dem fremdenfeindliche, antidemokratische, revanchistische Parolen und Aktionen als alles, nur nicht als fremdenfeindlich, antidemokratisch oder revanchistisch bezeichnet werden dürfen? Wenn es wirklich, wie behauptet, nur um demokratische Meinungsäußerungen besorgter Bürger ginge, warum braucht man dann Sicherheitsdienste vor den Flüchtlingsheimen?

Natürlich muss unterschieden werden zwischen den ideologischen Strategen, den Funktionären in Parteien, den organisierten Rechtsradikalen, die ein systematisches, geschlossenes Weltbild propagieren, und ihren blindwütigen Marionetten, deren sozialen Frust und politischen Unmut die Rechten wieder und wieder befeuern und zielgerichtet steuern, bis er sich dann scheinbar zufällig, scheinbar unideologisch an einem Bus mit verängstigten Geflüchteten und deren Kindern entlädt. Natürlich sind weder die einen noch die anderen einfach als "Pack" zu bezeichnen. Aber sie gehören eben politisch zusammen und bedingen einander in ihrer rechten Agenda. Ganz gleich, wie sehr sie das Etikett auch von sich weisen und sich mit "Wir sind das Volk" zu legitimieren versuchen.

Überhaupt: Was für eine Legitimation sollte das sein? Und vor allem: Was für ein Volk soll das, bitte schön, sein? Ein "Volk", dessen soziale Grammatik aus Ressentiment und Vorurteil sich speist, dessen gemeinsame "Kultur" in kollektiver Aggression und Feindseligkeit gegen Menschen besteht, die aus dem früheren Mesopotamien stammen, ein "Volk", das so fragile Überzeugungen, so schwache Wurzeln hat, dass jede Andersartigkeit sofort Irritationen auslöst, ein "Volk" schließlich, das sich durch seine menschenverachtenden Methoden permanent selbst diskreditiert - das ist kein Volk oder zumindest nicht mein Volk. Das ist eine die offene Gesellschaft terrorisierende Minderheit.

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