Kolumne:Kampfzyklen

Frei

Donald Trumps Chefberater hängt einer obskuren Geschichtstheorie an. Geht es nach Stephen Bannon, steht uns eine große Krise bevor.

Von Norbert Frei

Anno 2010 ahnte offenbar nicht einmal Stephen Bannon selbst , wer unter ihm der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden würde. Hätte er es geahnt, er hätte "Generation Zero" womöglich etwas anders angelegt. Denn dieser Film, mit dem der ehemalige Wallstreet-Banker damals vorgab, die "Wahrheit über die Finanzkrise" von 2008 zu enthüllen, ist mehr als ein bizarr bebildertes Politdrama, wie Cineasten das Genre gern nennen. Es ist, eingekleidet in die Wahnvorstellung von einem zyklischen Geschichtsverlauf, vor allem eine aggressive Kampfansage an die Baby-Boomer, mithin an die in den Vereinigten Staaten besonders geburtenstarke, auch früher als in Europa auftretende Generation der Nachkriegskinder. Deren älteste Vertreter - hierzulande nennen wir sie gerne "Achtundsechziger" - sind inzwischen Anfang siebzig und großenteils seit Langem Teil des Establishments. So wie Donald Trump, Jahrgang 1946, und ein Meister in der Kunst, autoritäres Gebaren als institutionenverachtenden Antiautoritarismus zu verkaufen.

Donald Trumps Kohorte - zu der, gewissermaßen als ein kleiner Bruder, auch sein sieben Jahre jüngerer Chefberater Bannon zählt - ist laut "Generation Zero" verantwortlich für alles, was in neuerer Zeit im liberalen Westen, besonders aber in den Vereinigten Staaten schiefgegangen ist. Genauer gesagt, seit 1987, denn damals soll das Unheil in Gestalt der "Money Culture" seinen Lauf genommen haben: im dritten Abschnitt jenes viergeteilten Zyklus', in dem sich die amerikanische (wie eigentlich alle) Geschichte angeblich seit jeher bewegt.

Aber der Reihe nach.

Angeblich wiederholt sich Geschichte in Zyklen von achtzig Jahren

"The Fourth Turning" (in etwa: "Die vierte Kehre") lautet der Titel eines zwanzig Jahre alten Esoterik-Schmökers, der sich, beflügelt durch den Wahlsieg Trumps, seit Monaten wieder blendend verkauft; Mitte dieser Woche rangierte der Band auf der Rangliste von Amazon U.S. auf Platz 75 in "Bücher" und auf Platz eins in "Weissagung". Darin entfalten die Autoren William Strauss und Neil Howe ein krude naturalistisches Verlaufsschema, demzufolge die Geschichte sich alle achtzig Jahre wiederholt: So seien auf das "Amerikanische Hoch" der beiden ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg Mitte der 1960er-Jahre eine "Bewusstseinsrevolution" und Mitte der 1980er "Kulturkriege" gefolgt - mit dem Ergebnis einer allgemeinen gesellschaftlichen "Auflösung". Dieses "Unraveling", so die Prophezeiung von 1997, werde zu Beginn des neuen Jahrtausends von einer säkularen "Krisis" abgelöst. Danach beginne der Kreislauf der Geschichte von vorne.

Es ist unklar, wann nun Stephen Bannon, der, nach ein paar Jahren bei der Investmentbank Goldman Sachs, in den 1990ern sein Geld noch mit Investitionen in der Unterhaltungsindustrie verdiente, an dem Geraune der beiden Hobbyhistoriker Gefallen fand. Über den persönlichen Weg des Filmemachers zur Erleuchtung schweigt sich "Generation Zero" vornehm aus. Aber die Anschläge vom 11. September 2001 und der Bankenkollaps von 2008 scheinen den rechten Revolutionär von der Erklärungskraft eines Modells überzeugt zu haben, das entfernt an Nietzsches "ewige Wiederkunft" erinnert.

Jedenfalls wirkt Bannons Krisenfilm über weite Strecken wie eine atemlose Nacherzählung der pseudowissenschaftlichen Zyklentheorie à la Strauss und Howe: Im Zeitraffer verrottendes Obst und verwelkende Blüten stehen für allgegenwärtigen Verfall, implodierende Hochhäuser symbolisieren Zusammenbruch, nach blutigen Fleischbrocken schnappende Haie verkörpern besinnungslose Gier. Zu dröhnender Überwältigungsmusik fliegen Dollarscheine durch die Luft oder rattern durch die Zählmaschinen, und immer wieder klackert im Kasino die Kugel über das Roulette-Rad. Den Kontrast zu den Rhythmen der Verderbnis bilden bunte Familienszenen aus den 1950er-Jahren, in denen gut gelaunte Küchenmütter propere Kinder umhegen und die Väter verständnisvoll blicken.

Soll heißen: Die Baby-Boomer haben es ihren Eltern schlecht gedankt. Kaum herangewachsen, hätten sie alle Maßstäbe und Hemmungen verloren. 1969, im Schlamm und angesichts der Orgien von Woodstock, hätte man schon ahnen können, dass diese Generation - jedenfalls fürs Erste - nichts hervorbringen würde außer raffende Manager und moralisch verkommene Politiker. Auftritt also für Bill Clinton, Jahrgang 1946 auch er.

Wo aber "Unraveling" ist, wächst das Rettende auch: in Gestalt besagter "Krisis", die ihren Höhepunkt in Bannons Film vielleicht schon hinter sich hat, ihm aber vielleicht auch erst noch entgegentreibt - das bleibt wie vieles mehr im Ungewissen. Doch anders als vor sieben Jahren, als Bannon seine Dokumentation drehte und der Ausgang der Krisis noch offen zu sein schien, kennen wir nun des Rätsels Lösung: Der neue Zyklus hat mit Donald Trump begonnen. Nicht alle Baby-Boomer sind für immer böse. Manche sind gar zur großen Umkehr zu gebrauchen, zur konservativen Revolution.

Da macht es nichts, ja da ist es womöglich sogar nützlich zur Blendung der Feinde, dass in dem blondierten Immobilienmakler eine Figur das Amt des Präsidenten erobert hat, die keine Probleme damit zu haben scheint, noch jede ihrer Aussagen binnen Stunden ins Gegenteil zu verkehren. Den eigentlichen Plan für das kommende "Hoch" halten schließlich die Wissenden im Hintergrund in Händen, allen voran ein geschichtsphilosophisch Erleuchteter wie Stephen Bannon.

"Geschichte wiederholt sich", heißt es im offiziellen Trailer zu seinem Film, und Wendepunkte in der Geschichte seien nichts als "natürliche Notwendigkeiten". Zweihundert Jahre Aufklärung scheinen im Weißen Haus des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika heute nichts mehr zu bedeuten. Vernunft und rationales Denken wirken auf ihn wie eine Provokation.

Was daraus folgt, sind wir dabei zu lernen - und müssen täglich aufs Neue darauf achten, uns daran nie zu gewöhnen.

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