Kolumne:Beliebt

Kolumne: Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Popularität von Politikern wird ständig gemessen. Das ist unterhaltsam, aber nicht gut für die Politik. Die Ergebnisse sind selten mehr als Ausdruck von Ungeduld und schlechter Laune.

Von Norbert Frei

Eine Woche vor der Bundestagswahl ist es nicht verkehrt, kurz nach Frankreich zu schauen. Nein, nicht wegen all der großen europapolitischen Dinge, die Macron, Merkel und Schäubles Nachfolger auf den Weg bringen müssen, sobald das neue Bundeskabinett gebildet ist. (Wer jetzt denkt, das seien doch, jedenfalls auf deutscher Seite, alles ungelegte Eier, dem sei gesagt: Sie werden nicht nur in Berlin längst bebrütet.) Der Blick über den Rhein gilt einer scheinbar kleinen Sache, nämlich dem hier wie dort beliebten Beliebtheits-Ranking von Politikern, dessen Beschädigungspotenzial momentan besonders eindrucksvoll in Paris zu besichtigen ist: an der Gestalt des Präsidenten, den plötzlich alle Welt als so durchgestylt empfindet, wie er immer schon war.

Emmanuel Macron wird - auch deshalb? - nur noch von 30 Prozent der Franzosen gemocht, verkündete kürzlich YouGov, ein weltweit agierendes privates Meinungsforschungsinstitut, das seine Auskunftswilligen ähnlich "belohnt" wie Payback seine Rabattjäger. Die exakt 1003 Franzosen, die den Demoskopen zufolge an der Umfrage teilgenommen haben, bilden angeblich einen repräsentativen Querschnitt jener 47 Millionen, die Anfang Mai zur zweiten Runde der Präsidentschaftswahl aufgerufen waren. Sollte die Messung stimmen, würde das bedeuten, dass Macron etwa ein Drittel seiner damals gut 20 Millionen Wähler bereits wieder verloren hätte. Entsprechend hämisch wird der "Absturz" des "Sonnenkönigs" in der Presse kommentiert; sogar vom "Make-up-Präsidenten" ist die Rede, zu Boden gebracht von einer überteuerten Visagistin.

Franz Josef Strauß und Herbert Wehner verweigerten sich dem Beliebtheitsspiel

Doch wie ernst sind die Befunde der Meinungsforscher zu nehmen? Liest man auf der Homepage von YouGov ein wenig nach, fällt als Erstes auf, dass die schicke Firma ganz und gar aufs Internet setzt. Von ihren Befragungen ausgeschlossen ist also von vornherein, wer nicht online gehen kann oder will. Und natürlich blickt den Teilnehmern auch niemand mehr ins Auge, wenn sie allein zu Haus vor ihrem Computer oder abgelenkt in der U-Bahn am Smartphone ihre Häkchen setzen. In den Anfangsjahren der Demoskopie - die Älteren erinnern sich an Elisabeth Noelle-Neumann, Adenauers "Pythia vom Bodensee" - war das noch anders: Die Außendienstler des Allensbacher Instituts konnten begriffsstutzigen Befragten auf die Sprünge helfen, und selbst noch bei den in analoger Ruhe geführten Interviews am guten alten Festnetztelefon ließ sich manches Missverständnis klären. Aber weiß der Computer, was eigentlich im Sinne hat, wer auf dem Touchscreen flugs tres défavorable (sehr ungünstig) antippt, wenn die Frage lautet: "Wie beurteilen Sie die Arbeit von Emmanuel Macron als Präsident der Republik?"

Bei "Deutschlandtrend" und "Politbarometer", den regelmäßigen demoskopischen Unterhaltungssendungen von ARD und ZDF, klingt vieles nicht weniger diffus. Was uns zum Beispiel sagen will, wer sich für diesen oder für jene seiner Berliner Fernsehbekannten eine "wichtige Rolle" in der Zukunft wünscht, ist Gegenstand freihändiger Interpretation. Ungeheuer seriös und aufregend wirkt das Ergebnis trotzdem, zumal wenn es als bebildertes Treppchendiagramm präsentiert wird, auf dem - so die Situation vor ziemlich exakt einem Jahr - Frank-Walter Steinmeier an der Spitze rangiert und drei Stufen dahinter Joachim Gauck. Heißt das, der Demos wusste schon damals, dass der Außenminister demnächst den Bundespräsidenten ablösen würde? Aber was bedeutete dann Wolfgang Schäuble auf Platz zwei vor Angela Merkel? Und was machte Hannelore Kraft auf Platz fünf, während ein gewisser Martin S., den ein Drittel der Deutschen gar nicht kannte, gerade auf Platz 14 kam?

Wenn es noch eines Beweises für die Launenhaftigkeit politischer Beliebtheitskurven bedurft hätte, dann lieferte ihn Anfang dieses Jahres die sogenannte Schulz-o-Mania. Nicht weniger als 41 Prozent der Befragten erklärten Ende Januar, im Falle einer Direktwahl den frischgekürten Kanzlerkandidaten der SPD wählen zu wollen, der damit exakt gleichauf mit der Kanzlerin lag. Martin Schulz, gerade erst aus Brüssel importiert, hatte zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie nichts zu seinen Absichten gesagt, geschweige denn ein Wahlprogramm präsentiert. Aber das machte schon deshalb nichts, weil das geradezu rauschhafte Spiel der Demoskopen Teil einer - in diesem Fall ungewöhnlich nährstoffreichen - medialen Verwertungskette, ansonsten aber reine Fiktion war. Anders als die Franzosen, die tatsächlich über die Bewohner des Élysée-Palasts befinden, können die Deutschen nun einmal nicht direkt darüber entscheiden, wer ins Kanzleramt einzieht.

Im Zeitalter des "Likens" ist es zugegebenermaßen schwer geworden, gegen "Beliebtheit" als Kategorie des Politischen zu argumentieren. Aber wer über den permanenten Messwahnsinn der Meinungsforschungsindustrie nicht reden will, der soll über die intellektuelle Dürftigkeit und inhaltliche Armut heutiger Wahlkämpfe schweigen. Man muss vielleicht nicht gleich zurückgehen bis zu Herbert Wehner oder Franz Josef Strauß, um Beispiele zu finden für Politiker, die sich dem grausamen Beliebtheitsspiel entzogen und dennoch - oder gerade deshalb - politisch gewirkt haben; aber Norbert Lammert hat seine letzte Rede als Parlamentspräsident nun auch schon gehalten.

Vermutlich wird es im nächsten Bundestag trotzdem etwas weniger einträchtig zugehen als im laufenden. Nur werden dafür, wie es aussieht, nicht zuerst jene sorgen, die sich - derzeit noch von außerhalb des Parlaments - als Vertreter der "Eliten" beschimpfen lassen. Vielmehr wird die AfD versuchen, ihr politisch-ästhetisches Gegenprogramm zu den "Altparteien" zur Geltung zu bringen, vulgo: Krawall zu schlagen. Wer sich dann zu vornehm ist, Alexander Gauland entgegenzutreten, der sollte tatsächlich Beliebtheitspünktchen verlieren. Merkel wird sich darauf ohnehin einstellen müssen: Nach dem Sieg ist vor dem Liebesentzug. Aber das begegnet ihr, anders als ihrem jungen Freund in Paris, ja nicht zum ersten Mal.

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