Kolumne:Advent

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Im Dezember hat die Apokalypse stets mediale Hochkonjunktur, als gälte es, ein uraltes Erbe zu bewahren - das Gefühl für die Endzeit.

Von Karl-Markus Gauss

Vor langer Zeit, als der Advent noch etwas mit dem Glauben der Christen zu tun hatte, dass der Heiland in einem Stall in Betlehem geboren wurde, gab es zwei gegensätzliche Vorstellungen, wie man sich im Dezember auf die Wiederkehr seiner Geburt vorbereiten könne. Für die einen waren die Wochen, in denen auf die Ankunft des Herrn gewartet wurde, eine hoffnungsfrohe Zeit, in der von Sonntag auf Sonntag die Freude wuchs, bis es endlich hieß: Der Heiland ist da! Für die anderen blieb die Wiederkehr des Messias lange mit endzeitlichen Visionen verbunden. Sie nahmen die Wochen vor der Weihnacht daher als Gelegenheit, Buße zu tun, um das Jesuskind geläutert, gereinigt begrüßen zu können.

Das ist lange vorbei, und nicht nur mir ist es ein Rätsel, wie es immer noch gelingen kann, ausgerechnet den lärmenden Advent werbetechnisch als stillste Zeit im Jahr auszurufen. Keine Sorge, ich werde hier kein kulturkritisches Lamento anstimmen und scheinheilig den Verlust der alten Frömmigkeit beklagen! Obwohl es auch mich ärgert, dass die kommerzielle Aufrüstung des Advent unsere Städte in Besitz nimmt und über deren schönste Plätze eine Besinnlichkeit verhängt, bei der in mir die Sehnsucht nach rauer Urbanität zu wachsen beginnt. Mein Salzburg etwa verwandelt sich schon von Mitte November an in einen riesigen Christkindlmarkt, sodass sich, wer es nicht mit Glühwein und Klingeling hält, neue Routen durch seine Stadt suchen muss, damit er es unbehelligt zu seinem Arbeitsplatz und wieder nach Hause schafft. Dennoch muss selbst ich schlichtweg einräumen: Hunderttausende reisen von weit her, um unseren Christkindlmarkt zu besuchen, auch die Einheimischen strömen in Scharen herbei, und ihnen das Recht zu bestreiten, den Advent auf ihre Weise zu feiern, wäre arrogant, also dumm.

Die schauerlichen Prognosen vom vergangenen Jahr müssen überboten werden

Ich halte aber fest, dass im alten Advent gewissermaßen die freudige und die endzeitliche Erwartung miteinander konkurrierten und sich just in der säkularen Welt diese besser zu behaupten scheint als jene. Ein großes Einkaufszentrum preist den Advent des Konsums etwa mit dem Slogan an: "Der Countdown läuft!" Wenn die Minuten und Sekunden im Countdown zum finalen Zero heruntergezählt werden, dann steht üblicherweise etwas gewaltig Krachendes bevor. Der Start einer Rakete, die das All auf der Suche nach außerterrestrischem Lebensraum für die Menschheit erkundet, die irgendwann auf ihrem ruinierten Planeten keine Zukunft mehr haben wird, ist dabei noch die harmlose Variante. Bei Zero könnten auch andere Knöpfe gedrückt werden, und tatsächlich hat im Advent stets die Apokalypse mediale Hochkonjunktur: Als gälte es, ein uraltes Erbe zu bewahren, das Gefühl für die Endzeit, für das Ende aller irdischen Zeiten, das heute freilich ohne die Glaubensgewissheit auskommen muss, dass mit dem Schlussakt auf Erden die Ewigkeit himmlischer Glückseligkeit anheben werde.

Was das betrifft, so gilt es, das zu Ende gehende Jahr schon dafür zu rühmen, dass es in ihm nicht überhaupt mit allem zu Ende gegangen ist. Immerhin hat Der Spiegel vor einem Jahr die Befürchtung verbreitet, dass uns 2017 womöglich "das Ende der Welt" bescheren werde. Das Magazin bezog sich darauf, dass die US-Bürger einen neuen Präsidenten gewählt hatten, dem viele den narzisstischen Wunsch zutrauen, der Erde lieber den Garaus zu bereiten, als eine kränkende Niederlage wegzustecken. Aber die Untergangsstimmung braucht keinen Trump, keinen Brexit, keine Flüchtlingskrise. Wer sich der Mühe unterzieht nachzulesen, was in den vergangenen zwanzig Jahren aufgeboten wurde, um den publizistischen Rückblick aufs jeweils vergangene und die Vorschau aufs kommende Jahr interessant zu machen, der wird erstaunt feststellen, dass es immer schon so arg um die Welt bestellt war, dass es kaum zu begreifen ist, wie es zuverlässig immer noch schlechter mit ihr und uns werden konnte. Und doch ist es so, im Dezember, dem Monat von Advent und Apokalypse, müssen die schauerlichen Prognosen vom vergangenen Jahr stets überboten werden mit all den Katastrophen, die sich künftig ereignen könnten.

Im vergangenen Herbst haben in Deutschland und Österreich Wahlen stattgefunden, bei denen einige Parteien mit der drohenden nationalen Apokalypse für sich warben. In Österreich wurde eine inhaltsleere Losung zur siegreichen Parole: Die große Veränderung, sie alleine wäre es, die dem Übel noch abhelfen könne! Was es im Einzelnen zu verändern gälte, blieb im Nebulosen, sodass man das Gefühl haben musste, es wäre nicht weniger gemeint als alles. Man hätte schier glauben können, dass Staat, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft in unseren Ländern bereits im Chaos versunken wären. Die kollektive Untergangsstimmung, aus der die Sehnsucht nach der großen Veränderung erwächst, hat in der individuellen Stimmung der Bürger keine Entsprechung. Werden diese nämlich nach ihrer persönlichen Situation befragt, gibt die übergroße Mehrheit zu Protokoll, dass sie mit ihrer eigenen Lage durchaus zufrieden sei.

Damit soll keineswegs verleugnet werden, dass es nicht viele, allzu viele Menschen gibt, die wahrlich Grund haben, empört zu sein und über prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, über offenkundige oder versteckte Armut und vieles andere zu klagen. Sie aber, die von realer Benachteiligung betroffen sind und oftmals demoralisiert werden, waren es keineswegs, die den rechten Populisten zu ihren Wahlerfolgen verholfen haben. Die sich wie wild in Szenarien des Untergangs ergehen, sind nicht die verächtlich sogenannten Verlierer, sondern jene, die fürchten, womöglich zu solchen zu werden. Was sie in ihrem Status tatsächlich bedroht, sind jedoch gerade die enormen Veränderungen, die die Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen mit sich bringt. Wenn sie politisch auf den autoritären Dreinhauer setzen, dann erwarten sie paradoxerweise ausgerechnet von ihm, dem großen Veränderer, dass er sie vor Veränderung beschützen möge. Es geht also gar nicht um konkrete Veränderung, sondern um nicht weniger als - Erlösung. Immerhin, es ist ja Advent.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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