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Kolumne: Jagoda Marinić, 40, ist kroatisch-deutsche Schriftstellerin, Kulturmanagerin und Kolumnistin.

Jagoda Marinić, 40, ist kroatisch-deutsche Schriftstellerin, Kulturmanagerin und Kolumnistin.

Das Kino erfindet derzeit die Frau neu. Schauspielerinnen übernehmen zunehmend Rollen, die bisher Männern vorbehalten waren. Aber was nützt den Frauen das?

Von Jagoda Marinić

Diesen Sommer wird vielleicht die Frage gelöst, wer den nächsten James Bond spielt. Schon lange steht im Raum, die Rolle einer Frau auf den Leib zu schreiben. Noch nie war das Kino diesem Schritt so nah, und die Gesellschaft so bereit dafür: Die Frau wird medial neu erfunden. Es werden ungewöhnliche Frauengeschichten erzählt, andere Seiten der Weiblichkeit auf der großen Leinwand repräsentiert. "Wonder Woman" ist nur der Anfang - wobei es schon schwierig ist, die Worte "Wonder Woman" zu schreiben und danach ernsthaft über die Frau an sich nachzudenken. Doch da ist noch die südafrikanische Oscar-Preisträgerin Charlize Theron, die mit "Atomic Blonde" kürzlich in Berlin Weltpremiere feierte und die den Erfolg der Actionfrauen diesen August an den Kinokassen fortsetzen möchte.

Theron spielt in "Atomic Blonde" die britische MI6-Agentin Lorraine Broughton in Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges. MI6 - das ist doch Bond. James Bond. Ein Filmcharakter, wie er normalerweise auf Männer zugeschnitten ist. Die New York Times widmete diesem Phänomen daher die Titelseite und ein großformatiges Porträt auf den Innenseiten. Schon nach den ersten Sätzen ist klar: Das Frauenbild ändert nicht nur die Frau auf der Leinwand. Auch die Schauspielerin selbst sollte diese neuen weiblichen Züge aufweisen können, wenn sie faszinieren will. Vor allem das zerstörerische Etwas. Es geht um den Kampf, das Martialische, das filmische Morden, das, was diese Gesellschaft lange als "das Männliche" dargestellt hat. Im Grunde dürfen die realen Frauen ihren Filmheldinnen in nichts nachstehen. Die Fiktion strahlt ins Leben zurück.

Wer würde Angela Merkel auf der Leinwand spielen?

Es war höchste Zeit, die Frauen der Filmwelt von der Opferrolle zu erlösen. Inwieweit sie das selbst tun, ist noch offen. Erste Vorboten, dass es bald so weit sein würde und dass Frauen diesen Weg gehen wollen, gab es dieses Jahr beim Filmfestival in Cannes. Die Schauspielerin Jessica Chastain fiel in der vom spanischen Regisseur Pedro Almodóvar geleiteten Jury aus der Rolle der unpolitischen Schauspielerin. Chastain resümierte, sie sei nach zwanzig Filmen in zehn Tagen Jurytätigkeit sehr verstört darüber, wie diese Welt Frauen sehe. Die weiblichen Charaktere, die sie repräsentiert gesehen hätte, kämen den realen Frauen in ihrem Leben nicht annähernd nahe: "Frauen, die proaktiv sind, ihre eigene Meinung haben, nicht nur auf Männer um sie herum reagieren und ihre eigenen Standpunkte vertreten." Ihr kurzes Statement ging online viral. Viele andere berühmte Schauspielerinnen klopften ihr über die sozialen Medien auf die Schulter, als hätten sie nur auf den Tag gewartet, an dem es endlich eine sagt. Almodóvar, bekannt als Regisseur, der starke Frauenfiguren in den Mittelpunkt seiner Filme stellt, nickte zustimmend. Mehr Frauengeschichten, von Frauen erzählt, brauche es, schloss Chastain. Das stimmt. Wir werden nie wirklich lernen, wenn wir nicht lernen, die Welt aus vielen Winkeln zu sehen.

Unter diesem Aspekt ist das deutsche Fernsehprogramm nicht weit entfernt von den Filmen in Cannes: Die meisten Frauen, die man in Abendfilmen auf dem Bildschirm sieht, wurden misshandelt, werden gerade misshandelt oder werden innerhalb von neunzig Minuten noch misshandelt werden. Gemessen an den Redeanteilen ist die Repräsentation der schweigenden Frau in Filmen ebenfalls beliebt. Erzählt uns das etwas über die Frau in Deutschland im Jahr 2017? Erzählt es uns etwas über ein Land, das die mächtigste Frau der Welt als Regierungschefin hat? Eine Frau, die alle Rollenangebote, die man Frauen bis dato in der Politik machte, gesprengt hat und die sich auf Nachfrage trotzdem nicht als Feministin bezeichnet, weil andere mehr für das Thema getan hätten? Die Queen wurde von Helen Mirren gespielt. Margaret Thatcher von Meryl Streep. Wer könnte und würde Angela Merkel spielen?

Es gibt viele Geschichten von Frauen, die noch zu erzählen sind. Die neue martialische Selbstermächtigung der Frau, wie sie der Film gerade vorlebt, wird daran jedoch nicht viel ändern. Selbst Charlize Theron erklärte den Reiz der Rolle damit, dass hier eine Frau nach den Regeln der Männer spielen müsse. Wir erfahren also, was die Männerwelt für die Frau bedeutet. Diese Bewegung setzt auf Kraft und hat einen neuen Körperkult hervorgerufen. Dieser führt jetzt schon dazu, dass immer mehr Frauen den Yoga- und Pilates-Kult hinter sich lassen oder höchstens als Ergänzung zu ihrem harten Muskeltraining sehen. Selbst eine Schauspielerin, die gerade erst Mutter geworden ist, inszeniert in den sozialen Medien den weiblichen Willen, wieder knallhart durchtrainiert auszusehen, nach nur 52 Tagen. Die Mutterschaft darf keine Spuren hinterlassen am Körper der Frau von heute.

Die Passivität der Frau im Film ist passé, so scheint es. Ist auch die Fremdbestimmung überwunden? In keinem dieser Filme fehlt die obligatorische Kampf- oder Liebesszene zwischen einer Blondine und einer Dunkelhaarigen. Es ist offensichtlich, welches Publikum Sehnsucht nach solchen Szenen hat. Wie emanzipiert ist die Emanzipation der Frau, wenn sie selbst inmitten ihrer großen Selbstermächtigung im Rahmen der Hollywood-Industrie noch an ihre Playboy-Qualitäten denkt?

Es ist, als ob die Selbstverortung der Frau, das Finden und Suchen des eigentlich Weiblichen, erst dann beginnen kann, wenn wir alle männlichen Rollen einmal durchgespielt haben. Wenn Emanzipation nicht mehr nur bedeuten kann, dass auch wir nun kämpfen, morden und Krieg führen können - wie Männer. Wenn wir frei sind von dem Ziel, alles, was männlich ist, auch zu dürfen und die Befreiung von alten Rollenbildern nutzen, um wirklich neue zu erfinden. Vielleicht gäbe es auch den Männern die Gelegenheit, ihre Rollen neu zu denken. Wie soll man über die Frau reden? Wie über sie schreiben und wie eine Frauenrolle erfinden, die Menschen ins Kino bringt?

Es sieht so aus, als werde die Frau derzeit von vielen Seiten neu gedacht. Offen bleibt, ob sie diesen Moment nutzt, sich wirklich neu zu erfinden.

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