Kolumbien:Kolumbiens wackeliger Waffenstillstand

Kolumbien

Die Jugend will eine friedliche Zukunft: Studenten der Universität Bogotá demonstrieren nach dem gescheiterten Referendum für das Abkommen mit der Farc.

(Foto: REUTERS)
  • Kolumbien rätselt, wie es zur Ablehnung des Friedens-Referendums kommen konnte.
  • Fest steht, dass die Städter, die den Krieg hauptsächlich aus dem Fernsehen kennen, Nein zum Friedensvertrag sagten.
  • Die Ablehnung des Abkommens bedeutet nicht automatisch die Fortsetzung des Krieges.

Von Boris Herrmann, Bogotá

Der Oberst Aureliano Buendía hat in seinem Leben zweiunddreißig bewaffnete Aufstände angezettelt, die er alle verlor. Irgendwann gelangte er zu der Erkenntnis, dass es einfacher ist, einen Krieg zu beginnen, als einen zu beenden. Die Kolumbianer hätten es also wissen können, es steht alles im berühmtesten aller kolumbianischen Romane, "Hundert Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez, veröffentlicht 1967. Der echte Bürgerkrieg, der jetzt wieder nicht beendet wurde, ist noch drei Jahre älter.

Den Konflikt zwischen dem kolumbianischen Staat und der Farc-Guerilla beizulegen, wurde schon oft versucht. Diesmal, da waren sich alle sicher, konnte nichts schiefgehen: Alle Protagonisten waren kriegsmüde. Sie mochten keinen perfekten Friedensvertrag ausgehandelt haben, aber immerhin einen, der weltweit als beispielhaft gefeiert wurde.

Staatspräsident Juan Manuel Santos und Farc-Chef Timoschenko galten als Favoriten für den Friedensnobelpreis. Alle großen Medien haben für das Abkommen geworben, dazu Schauspieler, Pop- und Fußballstars. Der frühere Beatle Ringo Starr brachte eine spanische Version seiner Friedenshymne "Now the Time has come" heraus, Papst Franziskus stellte für 2017 einen Besuch in Aussicht. UN-Truppen sind bereits im Land, um die Umsetzung des Friedens zu überwachen.

Das Volk sollte das letzte Wort haben

Eine scheinbare demokratische Formalie fehlte jedoch noch. Das Volk sollte das letzte Wort haben - und es hat Nein gesagt. Vielleicht ist es ganz gut, dass der schreibende Friedensaktivist García Márquez dieses Trauerspiel nicht mehr miterleben musste. Er starb 2014.

Eine Frage ist, wie passieren konnte, was am Sonntag geschah. Fest steht, dass die Menschen in den ländlichen Regionen, die am meisten vom Konflikt betroffen sind, mehrheitlich für den Friedensvertrag stimmten. Es waren vor allem die Städter, die den Krieg hauptsächlich aus dem Fernsehen kennen, die Nein sagten.

Die andere Frage ist, was jetzt passieren soll. Die wohl wichtigste Erkenntnis nach zwei Tagen Schockstarre lautet, dass die Ablehnung des Abkommens nicht automatisch die Fortsetzung des Krieges bedeutet. Sowohl Präsident Santos als auch Farc-Chef Timoschenko haben noch einmal bekräftigt, dass sie bereit sind, weiterzuverhandeln. Der bilaterale Waffenstillstand bleibt in Kraft. Fürs Erste.

Santos kündigte außerdem einen neuen nationalen Dialog an - unter Einbeziehung der rechtskonservativen Oppositionspartei seines Vorgängers Álvaro Uribe, der die Kampagne für das Nein zum Frieden angeführt hatte. Die Positionen Uribes und der Farc scheinen allerdings unvereinbar zu sein. Im Kern geht es um die Frage: Wandert die Führungsriege der Guerilla ins Gefängnis - oder nicht?

Konsens ist lediglich, dass die Lösung schnell gebraucht wird

Alle Seiten haben versprochen, eine Lösung zu finden, wie sie aussehen könnte, weiß aber keiner. Konsens ist lediglich, dass die Lösung schnell gebraucht wird. Das Land befindet sich in einem untragbaren Hängezustand, die UN-Mission ist für sechs Monate ausgelegt, nach Lage der Dinge ist es ausgeschlossen, dass die knapp 6000 Farc-Kämpfer bis dahin ihre Waffen abgeben werden. Geplant war, dass sie sich in den kommenden Tagen auf 27 Sicherheitszonen verteilen, auch das ist nun hinfällig. Sobald auch nur der kleinste Teil von ihnen die Geduld mit dem schockgefrosteten Friedensprozess verliert, wäre der Staat gezwungen, militärisch einzugreifen. Spätestens dann wären alle Vermittlungsbemühungen gescheitert.

Der aktuelle Waffenstillstand ist nach dem gescheiterten Referendum zwar bis Ende Oktober verlängert worden. Er ist aber auch deshalb wackelig, weil weitere Guerillas wie die ELN, paramilitärische Milizen sowie kriminelle Banden nur darauf warten, jene Teile des Drogenhandels zu übernehmen, welche die Farc aufgeben sollte. In der Debatte der vergangenen Jahre wurde auch die Rolle der Paramilitärs oft unterschlagen. Nicht die Guerilla, sondern sie waren für den größten Teil der Morde und Massaker der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich. Offiziell sind sie seit mehr als zehn Jahren aufgelöst, tatsächlich treiben bis zu 10 000 Kämpfer in Nachfolgeorganisationen weiter ihr Unwesen.

Alle sind für den Frieden, heißt es, auch die Gegner des Friedensvertrags. Viele enttäuschte Befürworter haben nun aber das dumme Gefühl, dass am Sonntag eine historische Chance verpasst wurde. In Kolumbien leben etwa 1,5 Millionen Minderjährige, die Opfer eines Konfliktes sind, den ihre Väter und Großväter angezettelt haben. Wenn es nach ihnen ginge, wäre der Spuk vorbei. In einer Probeabstimmung wurden mehr als 13 000 Kinder zum Friedensvertrag befragt. Mehr als zwei Drittel kreuzten Ja an.

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