Kolumbien: Ingrid Betancourt ist frei:Die Gesetze des Dschungels

Nach der Befreiung Ingrid Betancourts gilt er in seinem Land als Superman und Hoffnungsträger: Kolumbiens Präsident Uribe hat die Farc-Guerilla fast besiegt - die Gründe für ihren Kampf bestehen trotzdem weiter.

Sebastian Schoepp

Clark Kent ist ein Mann, der äußerlich nicht viel hermacht. Er trägt einen unauffälligen Anzug, Brille, Kurzhaarschnitt, ist eher verschlossen und wirkt nicht besonders auf Frauen. Und doch steckt in ihm die Kraft, die Welt zu retten. Clark Kent ist die bürgerliche Tarnexistenz des Comic-Helden Superman.

Kolumbien: Ingrid Betancourt ist frei: Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe begrüßt Ingrid Betancourt in Bogota

Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe begrüßt Ingrid Betancourt in Bogota

(Foto: Foto: AFP)

Álvaro Uribe ist klein, hager und blass, und irgendwie erinnert er an Clark Kent. Für die Kolumbianer ist er nach der Befreiung von Ingrid Betancourt nun Superman.

Niemand in Kolumbien bezweifelt, dass Uribes Umfragewerte künftig alle Rekorde brechen werden. Er war vorher schon der beliebteste Präsident Kolumbiens aller Zeiten, weil er die Straßen sicherer gemacht hat. Die Rettung der berühmtesten Geisel der Welt durch ein Husarenstück im Urwald nährt jetzt die Hoffnung, dass der südamerikanische Superman auch den Dreh finden könnte, den mehr als 50 Jahre alten Bürgerkrieg zu beenden.

Wer kann es schaffen, wenn nicht dieser so unauffällige, wie unerbittliche Präsident? Wen kümmert jetzt noch, dass Uribes Wiederwahl 2006 möglicherweise nur mit gekauften Stimmen möglich wurde? Wen interessieren die Parlamentarier, die beschuldigt werden, mit Drogenhändlern zu kooperieren? Wer will gerade jetzt Vergleiche ziehen mit Perus Ex-Präsident Alberto Fujimori, der in Lima vor Gericht steht, weil er einen schmutzigen Antiterrorkrieg führte? Wer forscht nach den Kontakten Uribes zu Paramilitärs? Selbst die Meldung, dass der Kokainanbau eher zu- als abnimmt, geht im Jubel unter.

Als Uribe im Moment seines bislang größten Triumphes vor die Presse trat, zeigte er wie üblich kaum äußere Regung. Nur die Pausen zwischen den wenigen Sätzen ließen erahnen, welcher Stolz in ihm bebte. Er schilderte kurz, wie schwer es für ihn gewesen sei, angesichts des Leids der Geiseln immer bei einer harten Linie zu bleiben. Dabei bestärkt hatte ihn aber nicht zuletzt Betancourt selbst.

Die frühere Präsidentschaftskandidatin eines grün-bunten Bündnisses und den konservativ-neoliberalen Präsidenten eint politisch fast nichts - außer der Überzeugung: Geiselnahme darf sich nicht lohnen. Die Gefangene hatte in einem Lebenszeichen aus dem Urwald klargestellt, dass sie nicht ausgetauscht werden wollte gegen inhaftierte Farc-Kämpfer. Europäische Vermittler wie Nicolas Sarkozy, der sogar die Aufnahme von freigelassenen Rebellen anbot, haben das nie verstanden. Sie waren zum Scheitern verurteilt, weil sie die Gesetze des Dschungels nicht kennen.

Die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (Farc) sind nach dem Verlust ihrer teuersten Geisel dem Ende nahe. Uribe hatte die Befreiung mit gezielten Schlägen vorbereitet. Er ließ Farc-Sprecher Raúl Reyes im ecuadorianischen Dschungel ermorden. Er nahm dafür einen Konflikt mit dem Nachbarland ebenso in Kauf, wie die Klagen der Angehörigen, die Militäraktionen stets ablehnten, weil es dabei schon oft Tote gab.

Diesmal fiel kein Schuss. Die Armee hat aus Fehlern gelernt, das signalisiert den Farc, dass ihre Strategie, lebende Schutzschilde zu benutzen, kaum noch Erfolg verspricht. Militärisch haben die Rebellen den von den USA geschulten Elite-Soldaten ohnehin wenig entgegenzusetzen.

Immer öfter kamen in letzter Zeit erschöpfte Kämpfer aus dem Urwald, um sich zu ergeben. Sie spüren, dass ihr Widerstand ein Anachronismus ist, dass eine marxistische Guerilla in einem intellektuell wachen und wirtschaftlich agilen Land wie Kolumbien im 21. Jahrhundert keine Zukunftsvision mehr weckt.

Doch die extremen sozialen Schieflagen, die zur Gründung der Farc einst führten, bestehen weiter. Ein großer Teil der Kolumbianer lebt weiterhin in bitterer Not und hat nichts vom Aufschwung des Landes. Es ist fraglich, ob der Krieger Uribe die Phantasie besitzt, einen friedlichen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu vermitteln. Das ist die Kehrseite seiner Härte. Superman ist eben kein Reformer.

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