Kolumbien:"Historischer Moment"

Nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit schätzungsweise 220 000 Toten schließen Regierung und Farc-Rebellen einen Friedenspakt. Der Schritt ist umstritten - und die Zustimmung der Bürger keineswegs gewiss.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

"Heute können wir sagen, dass der Krieg vorbei ist!" Mit diesen Worten verkündete Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos in der Nacht zu Donnerstag einen historischen Friedenspakt. Nach fast vierjährigen Verhandlungen im kubanischen Havanna einigte sich seine Regierung mit den Anführern der Guerilla-Organisation Farc auf ein Ende des gut fünf Jahrzehnte währenden Bürgerkrieges.

Der älteste bewaffnete Konflikt Lateinamerikas hatte sich in den 60er-Jahren an Landraub und sozialer Ungerechtigkeit entzündet. Marxistisch-leninistische Farc-Rebellen, rechte paramilitärische Gruppen und Teile der staatlichen Armee übertrafen sich seither gegenseitig an Gräueltaten. Mindestens 220 000 Menschen wurden getötet, größtenteils Zivilisten. Manche Schätzungen gehen sogar von bis zu 340 000 Todesopfern aus. Rund sechs Millionen Kolumbianer wurden aus ihren Häusern vertrieben, 45 000 von ihnen gelten bis heute als spurlos verschwunden. "Jetzt beginnt das Ende der Leidenszeit", versprach Santos.

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, kurz Farc, stimmen mit dem Abkommen ihrer Auflösung als bewaffneter Rebellenbewegung zu. Sie wollen künftig aber als politische Partei weiterexistieren. Ihre Waffen sollen die rund 7000 verbliebenen Untergrundkämpfer in den kommenden Wochen unter UN-Aufsicht abgeben. "Ich glaube, wir haben die schönste aller Schlachten gewonnen - die für den Frieden", sagte der Farc-Verhandlungsführer Iván Márquez in Havanna. Der bewaffnete Konflikt sei Geschichte, nun beginne "der Kampf der Ideen".

Die feierliche Unterzeichnung des Friedensvertrags ist für den 23. September in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá geplant. Am 2. Oktober soll die Bevölkerung dann in einem Referendum über den Friedensvertrag entscheiden. Die Zustimmung gilt nach jüngsten Umfragen als wahrscheinlich, aber keineswegs als sicher.

International wurde das Abkommen von Havanna mit großer Begeisterung aufgenommen. Es sei ein "Grund zum Feiern", sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einem "historischen Moment für Kolumbien und für ganz Lateinamerika". Jetzt komme es darauf an, die Vereinbarung mit Leben zu füllen und auf dem Weg zu Frieden und Aussöhnung alle gesellschaftlichen Kräfte des Landes mitzunehmen.

In Kolumbien selbst gelten die Beschlüsse als höchst umstritten. Santos hat sich mit der Farc auf eine Übergangsjustiz geeinigt, die eine weitreichende Amnestie für die Rebellenführer vorsieht. Statt mit langjährigen Gefängnisstrafen kommen die meisten von ihnen wohl mit Arbeit in Sozialprojekten davon. Führende Kritiker des Abkommens wie der frühere Staatschef Álvaro Uribe werfen Santos deshalb einen "Kniefall vor dem Terrorismus" vor. Auf dem beschwerlichen Weg vom Friedensabkommen bis zum endgültigen Frieden wartet auf die Verhandlungspartner beider Seiten noch viel Überzeugungsarbeit.

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