Kolumbien:Frohe Botschaft mit Fragezeichen

Der Papst bereist ein Land, das nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs auf dem Weg zum Frieden ist. Gute Nachrichten häufen sich. Doch die Gräben bleiben tief. Franziskus kommt zur rechten Zeit, um zu helfen, sie zuzuschütten.

Von Boris Herrmann

In einer Welt voller schlechter Nachrichten gibt es ein Land, das jahrzehntelang von Bürgerkriegern und Drogenbaronen dominiert wurde, neuerdings aber mit einer guten Meldung nach der nächsten aufhorchen lässt: Kolumbien. In erstaunlicher Regelmäßigkeit hält Präsident Juan Manuel Santos derzeit feierliche TV-Ansprachen, um "historische Vereinbarungen" oder "wegweisende Durchbrüche" zu verkünden. Die jüngste dieser Nachrichten betrifft die marxistische Guerilla-Organisation ELN, die "Nationale Befreiungsarmee". Seit 1964 versucht sie, die kolumbianische Nation von ihrem Staatswesen zu befreien. Nun sieht es so aus, als würde sie zumindest vorübergehend auf weitere gewaltsame Aktionen verzichten. Santos und die ELN haben sich auf einen Waffenstillstand geeinigt, von Oktober bis Januar. Immerhin.

Das ist noch weit entfernt von einem Friedensvertrag, wie ihn Santos mit der deutlich größeren Farc-Guerilla geschlossen hat. Es handelt sich vor allem um ein Signal des guten Willens, das im besten Fall (wenn der Waffenstand hält) Vertrauen schafft für die laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der ELN in Ecuador. Gleichwohl ist es ein wichtiges Signal. Denn die Vereinbarung mit der Farc ist nur halb so viel wert, solange die ELN weiterkämpft, entführt, tötet.

Sicher ist es kein Zufall, dass sich die ELN-Spitze in dieser Woche zu einer Feuerpause durchgerungen hat. An diesem Mittwoch kommt Papst Franziskus nach Kolumbien, der innerhalb der christlich-befreiungstheologisch geprägten ELN geschätzt wird als ein Genosse, der für Arme und Entrechtete kämpft - wenn auch mit anderen Mitteln. Vielleicht hat Franziskus da ein kleines Wunder bewirkt, noch bevor er kolumbianischen Boden betrat.

Das Land macht Fortschritte, doch zur Versöhnung ist es noch weit

Bis Kolumbien aber endgültig befriedet ist, sind noch größere Wundertaten nötig. Präsident Santos hat für die Hartnäckigkeit, mit der er die Aussöhnung vorantreibt, zu Recht den Nobelpreis erhalten. Das heißt aber noch nicht, dass sie ihn zu Hause als Volkshelden feiern, im Gegenteil. Seine Popularitätswerte sinken in dem Maße, wie die Zweifel an seinen TV-Ansprachen wachsen. Franziskus reist in ein Land, das nicht so recht weiß, ob es sich auf seinen Frieden freuen soll.

Von außen betrachtet, mag es paradox wirken, dass nach einem halben Jahrhundert Krieg mit weit mehr als 200 000 Toten und Millionen Vertriebenen nicht alle erleichtert aufseufzen, dass es vorbei ist. Doch so manche "gute Nachricht", die nun international bejubelt wird, löst bei den Betroffenen größtes Unverständnis aus. Dass ehemalige Farc-Guerilleros künftig im Parlament sitzen anstatt in der Gefängniszelle, war eine notwendige Bedingung zum Zustandekommen des Friedensschlusses. Abertausende, die von der Guerilla vertrieben wurden, die Verwandte verloren haben, finden es trotzdem ungerecht, verständlicherweise. Ärgerlich ist, dass Santos' Gegner jede Friedensinitiative zum Anlass nehmen, um weitere Ängste in der Bevölkerung zur schüren: Gibt es demnächst auch eine ELN-Partei?

Der Papstbesuch kommt sicherlich zur richtigen Zeit, denn er gibt Franziskus die Gelegenheit, seinen Teil zur Versöhnung in Kolumbien beizutragen. Etwa indem er daran erinnert, dass dazu nicht nur Gerechtigkeit gehört, sondern auch die Fähigkeit zu verzeihen. Der Papst könnte auch darauf hinweisen, dass die extrem schwierigen Debatten auch eine Stärke dieses Friedensprozesses sind. Es geht diesmal eben nicht nur darum, einen Konflikt zu beenden, sondern die Konfliktursachen zu beheben: die extrem ungerechte Landverteilung, die Strukturen eines mittelalterlichen Ständestaates. Es geht mithin um den Bau eines neuen Landes. Darüber darf man ruhig mal eine Weile streiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: