Koka-Anbau in Bolivien:Kraut der Götter, Gift der Gringos

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"Schlimm ist nur, was andere daraus machen": In Bolivien pflanzen die Bauern Koka-Blätter an wie anderswo Erdbeeren oder Tomaten. Die Pflanze gilt als heilig, ihre Blätter sollen gegen Magenschmerzen und Erschöpfung helfen. Doch hier beginnt auch der Weg der Drogen. In illegalen Giftküchen wird aus der heiligen Pflanze das teuerste Rauschgift der Welt: Kokain.

Peter Burghardt, Coroico

Es könnte alles so einfach sein. So friedlich. So natürlich. Eine Frau zwischen zarten Pflanzen in lieblicher Landschaft, kitschig fast. Albertina Torres, 34 Jahre alt, steht auf ihrem Feld, das sich in Boliviens Norden wie ein Weinberg den Hügel hinab zieht. Sie trägt einen hellen Umhang und schwarzen Hut, die Sonne brennt auf 1700 Metern Höhe. Gegenüber leuchten schneebedeckte Gipfel der Anden über dichtem Grün, der Himmel ist blau. Schmetterlinge und Vögel fliegen.

Die Landwirtin Torres vom Volk der Aymara zupft feine Blätter von kniehohen Sträuchern und lässt sie in die Tasche ihrer Schürze fallen. Sie arbeitet auf diesem schiefen Acker, seit sie denken kann. Wie ihre Eltern, wie ihre Ahnen. "Koka ist für uns Leben", sagt sie. "Davon essen wir, damit leben wir, damit schicken wir die Kinder in die Schule."

Von La Paz aus führen tausend Kurven über einen 4700 Meter hohen Pass in diese Region, die Yungas. Manche Chauffeure kauen Koka, das hält wach. Lastwagen haben säckeweise Koka an Bord, Koka ist hier erlaubt. An einem Kontrollposten suchen Polizisten nachlässig nach verbotenen Substanzen. Ein verrostetes Schild warnt: "Bewahrt die Yungas vor dem Drogenhandel."

Am Ende steht manchmal weißes Pulver

Das sind die einzigen Hinweise darauf, dass dieses Naturprodukt auch Basis für das teuerste Rauschmittel der Menschheit ist. In Coroico wachsen Bananen, Mandarinen, Kaffee, Orchideen, Mangos. Und Koka, immer mehr Koka. "Koka ist gut", sagt Albertina Torres. "Schlecht ist, was manche daraus machen."

Darum geht es. Um ein grünes Gewächs und die Familien, die es anbauen wie andere Trauben oder Tomaten. Am Ende der Geschichte mag in einigen Fällen weißes Pulver stehen. Schmuggel, Korruption, Sucht, Mord, Milliarden. Ein blutiges Geschäft. Nachtschwärmer und Manager zwischen Moskau und Manhattan ziehen sich den Stoff in die Nase. Sie bezahlen dafür Summen, von denen diese Menschen am Anfang der Geschichte nur träumen können. Für sie ist Koka eine harmlose, gesegnete, gesunde und preiswerte Frucht. Meistens.

Albertina Torres und ihr Mann Valerio Illanes sind zwei von Zehntausenden legalen Cocaleros, Kokabauern. Sie besitzen 3000 Quadratmeter. Eine ordentliche Ernte füllt ihnen drei Säcke à 50 Pfund, in den besten Jahren wird viermal geerntet, getrocknet, verkauft. "Nur zum Kauen", versichert Illanes. Zurzeit kriegen sie für das Pfund Koka auf dem Markt 25 bis 35 Bolivianos, macht umgerechnet allenfalls 2500 Euro im Jahr. Mit Kokain wäre ein Vielfaches zu verdienen, Aber das Wort cocaina sprechen sie nicht mal aus.

Den Begriff Coca kannten die Bewohner der Yungas schon vor den Inkas. Es ist das heilige Produkt von Pachamama, der Mutter Erde. Ein Zentrum der andinen Kultur und Religion. Seit Jahrtausenden wird auf diesen Terrassenplantagen erythroxylum coca gesät. Vermengt mit Speichel und Kalk oder Kalium setzen die Blätter im Mund ein Alkaloid frei, das Hunger betäubt, Erschöpfung lähmt, leicht berauscht.

Eine bolivianische Frau protestiert mit Koka-Blättern gegen ein Verbot der Pflanze (Archivfoto). Koka gilt in Südamerika als Heil- und Aufputschmittel. Doch es ist auch der Ausgangsstoff für die Droge Kokain. (Foto: REUTERS)

"Koka gibt uns Kraft bei der Arbeit", berichtet Albertina Torres. Es helfe gegen Magenschmerzen, Entzündungen, Höhenkrankheit. Koka-Tee schätzen auch Touristen aus dem Flachland, wenn ihnen am Titicaca-See die Luft zu dünn wird.

Die Wirkung nützten bereits die spanischen Eroberer. Sie ließen ihre Arbeiter in den Silberminen von Potosí Koka kauen, um sie gefügig und zäh zu halten - das Doping der Kolonialzeit. Die Spanier holten Sklaven aus Afrika auf die Koka-Äcker der Yungas, bis heute leben dunkelhäutige Afrobolivianer in den Dörfern.

Unappetitliche Substanzen

Erst hellhäutige Hexenköche aus der Wohlstandswelt verwandelten das Kraut der Götter in das Gift der Zivilisation. Sie filterten das Kokain mit chemischen Prozessen aus dem Kokablatt, der Gehalt beträgt weniger als ein Prozent.

Um den Blättern dieses Alkaloid zu entziehen, wird mit unappetitlichen Substanzen wie Diesel und Ammoniak gearbeitet. Die Kokablätter werden in Giftküchen im tropischen Chiapare oder im Armenviertel von La Paz zu einer Paste gestampft, aus der das weiße Pulver gewonnen wird, nach dem die Konsumenten in Europa oder den USA gieren. Die Mörderarmeen, die die Drogenkartelle mit der Abwicklung des Transports zu den Gringos beschäftigen, sind zu einer Existenzbedrohung für Transitstaaten wie Mexiko geworden - weit weg von den Yungas.

Am Ende stehen die Partydroge Koks und billiges Crack. Die USA verboten den privaten Gebrauch von Kokain - und Koka gleich dazu, obwohl ihr Nationalgetränk Coca-Cola heißt. In den Anfängen war die Brause mit Spuren von Kokain versetzt, später nur noch mit den ätherischen Ölen der Pflanze, Einzelheiten sind geheim. Die Amerikaner hätten Koka geächtet, sagt Bauer Valerio Illanes. Er meint Washingtons zwielichtige Antidrogen-Einheit DEA.

Bolivien ist nach Kolumbien und Peru der drittgrößte Koka-Produzent. Hier ist Koka in Reinform gestattet und wird sogar gefördert. In Bolivien darf Koka gekaut werden, was die UN-Konvention von 1961 eigentlich verbietet. Zunächst waren 12.000 Hektar zu traditionellen Zwecken zugelassen, Präsident Evo Morales will 20.000 Hektar freigeben.

Das beste Ergebnis liefern Böden der Yungas, süßlich und klein. Morales flog mit Kostproben aus Coroico zur UN-Drogenkonferenz nach Wien, hob die Blättchen in die Höhe und zeigte, was man daraus machen kann. Tee, Bonbons, Likör, Arznei, Marmelade, Shampoo. In Koka stecken Vitamine, Kalzium, Proteine, Eisen. "Das Verbot ist ein historischer Fehler", sagt der erste indianische Staatschef der indigen geprägten Republik. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dieses Blatt der Gesundheit schadet."

Morales vom Anden-Volk der Aymara war früher selbst Cocalero und leitet immer noch die Koka-Gewerkschaft der tropischen Provinz Chapare. Koka ja, Kokain nein, lautet das Motto seiner Regierung. Jeder in Bolivien weiß aber, dass Tonnen Koka aus Chapare und so manche Ladung der Yungas auch den Kreislauf der Dealer speist.

Täglich machen Nachrichten ausgehobener Labore oder korrupter Polizisten die Runde. 2010 zeigten Satellitenbilder 31.000 Hektar Koka in Bolivien, 19.000 zu viel, offiziell wurden 11.000 Hektar vernichtet. Man erzählt sich, mancherorts werde vor lauter Koka das Obst knapp. So viel Koka, wie da teilweise wachse, passe gar nicht in die Münder aller Bolivianer, sagt einer in Coroico. Aber die großen Gewinne machten andere. Die Dealer, nicht die Bauern.

Im Viertel La Fatima von La Paz steht der Mercado de la Coca, ein grünlicher Zweckbau, es ist einer der weltgrößten Kokamärkte. Dorthin liefert auch Albertina Torres ihre Ware. "Koka ist Leben", ist das Motto der Bauern-Vereinigung Adepcoca. Jede Lage der Yungas hat wie ein Weingut ihre Halle, in denen Säcke gefüllt, gewogen und markiert werden für die Versendung. Es riecht nach frischem Gras, viele Händler sind Ureinwohner.

"Wir kontrollieren uns selbst"

Der Koka-Gewerkschafter Hernán Quenallata redet erst wenig, Fremde erregen hier Misstrauen. Dann kommt er in Fahrt. "Koka wird verteufelt, aber wir verteidigen es. Koka ist Medizin und Tradition. Wir kontrollieren uns selbst. Wir haben nichts anderes. Zitrusfrüchte blühen einmal im Jahr, Kokapflanzen drei- bis viermal."

Gekaut wird eine Menge in Bolivien, der Konsum steigt in allen Schichten. Zu Recht, findet der Psychiater Jorge Hurtado, er empfängt Besucher im Dienstzimmer einer Klinik von La Paz. Kokablätter wirkten "wie starker Kaffee". Man solle sich mal vorstellen, Kaffee zu verbieten, da breche die Weltwirtschaft zusammen.

Doktor Hurtado regt sogar an, Kokainsüchtige mit Kokablättern zu behandeln. Einen Kokainrausch nennt er "chemischen Orgasmus", die richtige Dosis unbehandelter Kokablätter wirke wie eine Art Entziehungskur. Der Koka-Forscher erinnert an die medizinische Bedeutung von Kokain als Narkosemittel. Alkoholismus sei die schlimmere Seuche. Seit 30 Jahren wirbt er für Koka, in der Altstadt von La Paz hat Hurtado ein Koka-Museum eingerichtet. Dort rät ein Schild: "Iss Koka. Jedes verspeiste Blatt ist eines weniger für den Drogenhandel."

© SZ vom 18.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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