Köhlers Berliner Rede:Ein Präsident unter vielen

Deutschland, wie es der Bundespräsident als Ziel beschreibt, ist ein Land, in dem man gerne leben möchte: Vollbeschäftigung, Bildung für alle, eine harmonische Gesellschaft. Köhler hat mit allem recht, was er fordert. Doch er bleibt eine Stimme unter vielen.

Nico Fried, Berlin

Eigentlich kann sich Horst Köhler bei der SPD bedanken. Die Nominierung von Gesine Schwan als Gegenkandidatin des Bundespräsidenten hat seiner Berliner Rede in diesem Jahr mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen als den meisten seiner Ansprachen in den vergangenen Jahren. Das war ein Vorteil für Köhler - und ein Problem.

Köhlers Berliner Rede: Ein Präsident mit angenehm optimistischem Weltbild: Horst Köhler

Ein Präsident mit angenehm optimistischem Weltbild: Horst Köhler

(Foto: Foto: Reuters)

Denn seine Rede im Schloss Bellevue hat gezeigt, dass sich das Staatsoberhaupt in doppelter Hinsicht treu geblieben ist: erstens im Guten, zweitens im weniger Guten.

Horst Köhler bleibt der Mahner für weitere Reformen. Seine diesjährige Rede ähnelte über weite Strecken seiner ersten wichtigen innenpolitischen Rede im März 2005. Das zeugt von einer bemerkenswerten Geduld, ja von Hartnäckigkeit. Kaum ein Problem, das er damals wie heute nicht benannt hätte: ein unflexibler Arbeitsmarkt, die Verkrustungen des Föderalismus, die mangelnde Durchlässigkeit des Bildungssystems. Und kein Plädoyer, dem man nicht zustimmen könnte.

Das Deutschland, das Köhler als Ziel beschreibt, ist selbstverständlich ein Land, in dem man gerne leben möchte: Vollbeschäftigung, Bildung für alle, eine vielfältige und doch harmonische, demokratische Gesellschaft. Zugleich aber referiert Köhler fast mit der Akribie eines Fachpolitikers. Der Bundespräsident spricht vom großen Ganzen, aber er verliert sich allzu oft im Kleinteiligen.

Er versucht, den Blick auf das Wesentliche zu richten und greift doch häufig nur Diskussionen auf, die in der Alltagspolitik schon von all denen geführt werden, die dafür gewählt worden sind, oder auch nicht. Irgendwie hat Köhler mit allem recht, was er fordert. Und doch gelingt es ihm nicht, sich abzuheben vom allgemeinen Diskurs.

So ist dieser Bundespräsident auch zu Beginn des letzten Jahres seiner ersten Amtszeit eine durchaus vernünftige Stimme - aber eben nur eine Stimme unter vielen. Horst Köhler hat ohne Zweifel ein angenehm optimistisches Weltbild. Mit seltenem Enthusiasmus preist er die Chancen der Globalisierung. Aus der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, für die er auch mit seiner eigenen Biographie steht, nährt sich sein Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit von Politik.

Ein bisschen einseitig, fast entrückt

Die Demokratie ist stark, wenn nur möglichst viele mitmachen. Dieser Bundespräsident glaubt an das Gute im Menschen. Sogar noch nach drei Jahren großer Koalition. Wahrscheinlich ist es auch diese Zuversicht, die ihn bei den Bürgern so populär macht. Andererseits wirkt seine Beschreibung der gesellschaftlichen Gegenwart bisweilen ein bisschen einseitig, fast entrückt.

Die wenigen Passagen, die er in seiner Rede der sozialen Unsicherheit, den Kehrseiten der Globalisierung und dem wirtschaftlichen Wandel widmete, standen sogar in einem bemerkenswerten Kontrast zu seinem Image als volksnahes Staatsoberhaupt. Ja, er nennt Kinderarmut einen Skandal. Aber bei vielen anderen Themen, die gemeinhin unter dem Schlagwort "soziale Schieflage" beschrieben werden, beschwichtigt er in einem Maße, das schwerlich allein mit Besonnenheit erklärbar ist.

Im zweiten Teil verwundert es, wie der weltläufige Köhler selbst sein Gesichtsfeld verengt.

Ein Präsident unter vielen

Der konservative Köhler vertraut dem Modell der sozialen Marktwirtschaft, ohne ihm angesichts einer völlig veränderten Welt eine wirklich aktuelle Deutung zu geben.

Doch selbst wenn Köhler zu Recht vor negativen Übertreibungen warnt, sollte er eine weithin gefühlte Wahrnehmung gesellschaftlicher Missstände nicht einfach links liegenlassen. Und er setzt sich dem Vorwurf der Beliebigkeit aus, wenn er mal die globalen Finanzmärkte als Monster bezeichnet und anderntags manche ihrer Auswirkungen nur streift.

Kaum ein Wort über eine fragile Weltordnung und ihre Gefahren

Dieser Horst Köhler ist auch ein weltläufiger Mensch. Er hat beim Internationalen Währungsfonds gearbeitet, also in einer globalen Institution, er hat die wirtschaftlichen Entwicklungen in China und Indien im Blick und er engagiert sich in bewundernswerter Weise für Afrika. Gerade deshalb aber verwundert es auch immer wieder, wie Köhler selbst sein Gesichtsfeld verengt, wenn es um die Politik in Deutschland geht, sieht man von seiner modernen Einstellung zu Zuwanderung und Integration ab.

Seine Vorschläge betreffen fast ausschließlich nationalstaatliches Handeln. Europa taucht als Akteur bei ihm nicht auf. Köhler sieht eine rasante weltweite Dynamik zu mehr Lebensqualität für Milliarden Menschen, von der Deutschland profitieren könne - und sagt kaum ein Wort über eine fragile Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges und ihre Gefahren.

Franz Müntefering hätte das Loblied nicht schöner singen können

Dieser Bundespräsident hat sich entschieden, positiv zu denken und vor allem zu ermutigen - übrigens auch zu seiner Wiederwahl, was ein nicht zu vernachlässigender Randaspekt dieser Berliner Rede war. Das Loblied, das Köhler auf die Agenda 2010 und andere Reformen anstimmte, an denen die SPD auch in der großen Koalition maßgeblich beteiligt war, hätte Franz Müntefering nicht schöner singen können.

Das wird angesichts der Zerknirschung der SPD über die eigene Regierungspolitik beileibe nicht reichen, um die Mehrheit ihrer Delegierten in der Bundesversammlung auf seine Seite zu ziehen. Aber für seine eigene Mehrheit reichen Köhler ja voraussichtlich schon wenige sozialdemokratische Stimmen.

Ausschnitte aus der Berliner Rede von Bundespräsident Köhler sind abrufbar unter http://sz-audio.sueddeutsche.de/politik.

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