Köhler: "Berliner Rede":Der Präsident beichtet - und klingt wie Kant

Bundespräsident Köhler rechnet offen ab mit alten Machenschaften im Finanzmarkt. Er will eine ökologische Revolution und fordert, frei nach Kant, bürgerliche Werte ein. Für seine grandiose "Berliner Rede" erntet das Staatsoberhaupt, was er lange nicht erhielt: spontanen Applaus.

Thorsten Denkler, Berlin

Am Anfang steht eine Beichte. "Ich will Ihnen eine Geschichte meines Scheiterns berichten", sagt Bundespräsident Horst Köhler. Es folgt das Eingeständnis des ehemaligen Weltfinanziers, die Hinweise auf die Krise der Finanzwelt früh erkannt zu haben - aber als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den Hauptstädten kein Gehör gefunden zu haben.

Köhler: "Berliner Rede": Bundespräsident Horst Köhler in der Berliner Elisabethkirche: "Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen."

Bundespräsident Horst Köhler in der Berliner Elisabethkirche: "Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen."

(Foto: Foto: Getty)

Es habe der Wille gefehlt, so Köhler, "das Primat der Politik über die Finanzmärkte durchzusetzen". Seine Beobachtung: "Jetzt sind die großen Räder gebrochen."

Staatsoberhaupt Köhler sagt all dies gleich zu Beginn seiner vierten Berliner Rede. Nach drei Fehlversuchen könnte diese eine sein, die es wert wäre, Beachtung zu finden.

Ort der Rede ist die Elisabethkirche in Berlin-Mitte, ein Schinkel-Bau aus dem 19. Jahrhundert. Die Kirche war im Krieg zerstört worden und wurde zu DDR-Zeiten sich selbst überlassen. Noch bis vor wenigen Jahren wuchsen Bäume im Kirchenschiff. Seitdem wird sie wieder aufgebaut - Stein um Stein, wie es scheint.

Für Horst Köhler ist es der richtige Ort. Auch die internationalen Finanzmärkte, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, alles müsse von Grund auf neu errichtet werden, fordert er. Und nicht nur das: Es brauche einen neuen internationalen "Ethos" derer, die miteinander Handel trieben. Weltweit.

"Keiner kann mehr dauerhaft Vorteil nur für sich schaffen", sagt Köhler. Er spricht an dieser Stelle kaum fünf Minuten, und schon wird er das erste Mal von spontanem Beifall unterbrochen. Es wird nicht das letzte Mal sein. Eine neue Erfahrung für den Bundespräsidenten.

Köhler appelliert an die Vernunft, an das Mitgefühl, an die Solidarität der Marktteilnehmer. Sie sollen sich neuen Regeln unterwerfen, die am Ende nicht mehr dem Einzelnen maximalen Profit ermöglichen - aber allen ein gutes Auskommen sichern. So hätte Köhler die Welt gerne: "Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen."

Ausnahmsweise wirkt die Schlichtheit seiner Sätze wohltuend. Wohl auch, weil es jetzt tatsächlich um sehr grundsätzliche Dinge geht.

In seiner 30-minütigen Rede zeichnet der Präsident das präzise Bild einer neuen Weltordnung, in der der Norden den Süden nicht länger im Stich lässt, in der der Norden Wohlstand nicht durch immerwährendes Wachstum, sondern durch intelligente und ressourcenschonende Technik sichert.

Er liefert dafür auch Ansätze wie den Auftrag an die Automobilindustrie, mit neuen Antriebstechnologien die Autos für "die Zukunft der Welt" zu bauen. Autobauer sagen, in 15 Jahre werde es das erste Null-Emissionen-Auto geben, und Köhler sagt: "Das kann sogar schneller gehen."

Das ist schon Teil dessen, was der CDU-Mann eine notwendige "ökologische industrielle Revolution" nennt. Wenn das nicht nur eine Forderung ist, um die Grünen bei der Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai auf seine Seite zu bringen, dann hat er sich damit zumindest in der FDP keine Freunde gemacht.

Köhler fordert auch mehr Vertrauen in die Kraft der Länder Afrikas ein. "Es wäre ein geringeres Risiko gewesen, eine Eisenbahnlinie quer durch Afrika zu bauen, als in eine angesehene New Yorker Investmentbank zu investieren", sagt er und wieder bekommt er spontanen Applaus. Erst die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers hat die Finanzmärkte an den Rand des Kollapses geführt.

Glück müsse neu definiert werden, so der Berlin-Redner: "Ich finde, wir sollten uns neue Ziele setzen auf unserer Suche nach Erfüllung." Das klingt wieder naiv, trifft aber wohl den Kern. Genau wie der Satz: "Wir wollen andere in Zukunft nur so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen." Köhler klingt wie Kant an diesem Tag.

Jedenfalls schafft der Präsident, das hinzubekommen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gelingt: Dem ganzen Krisenmanagement einen tieferen Sinn zu geben, ein Ziel. Aufgebaut auf die grundbürgerlichen Werte Anstand und Ordnung. Ein wenig mehr davon auf den Finanzmärkten hätte die Krise wohl verhindern können. Köhler zumindest ist davon überzeugt.

Er hat an diesem Tag geglänzt, auch wenn es nach wie vor an rhetorischem Geschick fehlt. Aber Köhler war ehrlich - und damit beginnt der Weg aus der Krise.

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