Koalitionsverhandlungen:Säbelrasseln vor dem Finale

Als wäre nie verhandelt worden, schieben Union und SPD immer noch die größten Konfliktthemen vor sich her - Mindestlohn, Pkw-Maut, Rente, doppelte Staatsbürgerschaft. Alle Vereinbarungen sind Makulatur, wenn sich da nichts bewegt.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Finale, angeblich. Diese Woche soll passieren, worauf das Land seit geschlagenen zwei Monaten wartet. Ein Koalitionsvertrag soll das Licht der Welt erblicken. Bis spätestens Mittwoch.

Am Sonntag trafen sich die Spitzen von CDU und CSU. An diesem Montag soll die SPD dazukommen. Die Treffen werden wohl am Dienstag weitergehen. Auch bis spät in die Nacht hinein. Öffentliche Erklärungen sind nicht geplant. Für Mittwoch ist eine neue "große Runde" angesetzt. Angeblich soll da das Werk fertig sein und abgesegnet werden.

Vielleicht dauert es aber auch noch ein bisschen länger. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt jedenfalls hat nicht ausgeschlossen, dass die Unterhändler von Union und SPD noch nachsitzen müssen.

Schuld daran wäre dann aber die SPD, wenn die mit überzogenen Forderungen in die letzten Gesprächsrunden gehe, sagte er der Bild.

Das klingt mehr nach Krawall denn nach Einigung. Genau wie Sigmar Gabriel, der am Sonntag auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Frankfurt gesprochen hat. Der flächendeckende, gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro werde alleine nicht ausreichen, sagte der SPD-Chef dort. Er will auch Leiharbeit, Werkverträge und Zeitarbeit einschränken. Instrumente, die allein zur Überbrückung von Auftragsspitzen eingeführt worden seien. Darauf müssten sie wieder reduziert werden.

Gabriel verspricht den überraschten Gewerkschaftern gar: "Wir werden jedenfalls nichts zustimmen im Koalitionsvertrag, bei dem die Gewerkschaften sagen, das ist nicht genug." Was für eine Ansage! Über Jahre hatten Gewerkschafter eher den Eindruck, egal was sie forderten, die SPD macht das Gegenteil.

Nichts ist verhandelt, bis nicht alles verhandelt ist

Das klingt alles gewaltig nach Säbelrasseln. Als würden CDU, CSU und SPD nicht schon seit Wochen zusammensitzen und am Koalitionsvertrag herumbasteln. Herausgekommen ist in der Tat vor allem dieses Bekenntnis: Nichts ist verhandelt, bis nicht alles verhandelt ist.

Dafür haben sich mehr als 300 Politikerinnen und Politiker in zwölf Arbeitsgruppen, mehreren Unterarbeitsgruppen, einer großen Runde mit 75, einer kleinen Runde mit 15 Personen und der Spitzenrunde mit den drei Parteichefs bereits manche Nacht um die Ohren geschlagen. In vielen Details gab es vorläufige Einigungen. Die von Schwarz-Gelb eingeführten Kopfpauschalen etwa sollen doch nicht kommen. Eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten von 30 Prozent ab 2016 ist vereinbart. Auch eine Begrenzung von Managergehältern.

Die großen Konfliktthemen aber bestehen immer noch, als wäre nie verhandelt worden:

  • Mindestlohn: Kanzlerin Angela Merkel hat zwar auf dem SZ-Führungstreffen am vergangenen Freitag den SPD-Mindestlohn durchgewinkt. Allerdings mit der kleinen Hintertür, dass Arbeitsplätze möglichst nicht gefährdet werden sollen. Das aber wollen auch Sozialdemokraten nicht versprechen.
  • Pkw-Maut für Ausländer: Die CSU hält auf Biegen und Brechen daran fest. Obwohl noch immer kein Konzept bekannt ist, das inländische Autofahrer garantiert nicht belastet. Eine Maut kann es nämlich nur für alle geben, In- wie Ausländer. Wie dann die deutschen Autofahrer im Gegenzug über welchen Weg das Geld zurückbekommen, ist nach wie vor offen.
  • Rente: Das ist ein Riesenpaket. Darin enthalten ist ein Rentenzuschuss für Mütter von vor 1992 geborenen Kindern (will die Union), die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren ab 63 (will die SPD) und eine armutsfeste Mindestrente (wollen Union und SPD). Es geht in allen drei Fragen vor allem um das Finanzierungsprinzip. Die Union will die Beiträge erhöhen. Die SPD will das Geld aus der Steuerkasse nehmen. Dafür will sie Steuern für Reiche erhöhen.
  • Doppelte Staatsbürgerschaft: Die SPD will die Optionspflicht abschaffen. Bisher müssen sich junge Erwachsene für eine Staatsbürgerschaft entscheiden, entweder für die ihrer ausländischen Eltern. Oder für die Deutsche. Die Union will höchstens die Fristen ausweiten.
  • Hinzu kommen noch alle Projekte auf der sogenannten F-Liste, der Finanzliste. Alles was Geld kostet, steht auf dieser Liste. Mehr Geld für Gebäudesanierung ebenso wie die Forderung nach einem Tablet-Computer für jedes Schulkind. Da Union und SPD keine neuen Schulden aufnehmen wollen und vor allem die Union Steuerhöhungen für Reiche ablehnt, ist die F-Liste vor allem eine Streich-Liste.

Solange diese Fragen nicht geklärt sind, sind alle anderen Fragen auch nicht geklärt. Zur Not kann jedes in den Arbeitsgruppen gepackte Paket wieder aufgeschnürt werden, um den Verhandlungsdruck zu erhöhen.

Noch gar nichts wurde über die künftige Ressortverteilung bekannt. Wer bekommt wie viele und welche Ministerien? SPD-Chef Sigmar Gabriel versucht, jeden Eindruck zu vermeiden, es ginge ihm und seinen Mitstreitern nur um Posten. Er muss den Koalitionsvertrag schließlich noch seinen Mitgliedern vorlegen. Darum wird darüber nachgedacht, die Ressorts erst nach dem Mitgliederentscheid zu verteilen. Allerhöchstens soll vorher klar sein, wer wie viele Ministerien bekommt, um die Kräfteverhältnisse im Kabinett deutlich zu machen.

Steht der Vertrag, startet die SPD umgehend ihr Mitgliedervotum. Stimmt die Mehrheit für die große Koalition, dann kann am 17. Dezember im Bundestag Angela Merkel erneut zur Kanzlerin gewählt und die neue Regierung vereidigt werden. Geht es schief, dann wird es wohl Neuwahlen geben. Aber daran will im Moment keiner denken.

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