Koalitionsverhandlungen in NRW:Aus Mangel an Alternativen

Jürgen Rüttgers könnte Regierungschef von Nordrhein-Westfalen bleiben - denn in der CDU stehen kaum Nachfolger bereit. Es gibt nur ein paar Verlegenheitslösungen.

B. Dörries und J. Nitschmann

Vielleicht wurmt es Jürgen Rüttgers, dass er in der Staatskanzlei nicht ganz oben sitzt, sondern nur in der Mitte, obwohl er doch der Chef dieses Landes ist und sich auch so fühlt. Wolfgang Clement, einer seiner SPD-Vorgänger, hatte die Idee, dass der Ministerpräsident in dem neuen Glasturm, der auch die Staatskanzlei beherbergt, in der Mitte sitzt und nicht ganz oben. Das sei irgendwie näher am Volk.

Koalitionsverhandlungen in NRW: Kraft oder Rüttgers? Rüttgers oder Kraft? Es bleibt spannend in NRW.

Kraft oder Rüttgers? Rüttgers oder Kraft? Es bleibt spannend in NRW.

(Foto: Foto: dpa)

Immer nah am Menschen

Rüttgers ist aus seiner Sicht immer ganz nah an den Menschen, egal in welchem Stock sein Büro liegt. Der 58-jährige Christdemokrat kennt die Menschen und was sie umtreibt: Die Unternehmensberater, die ein paar Stockwerke über ihm sitzen, und die sogenannten kleine Leute im Ruhrgebiet. So sieht er sich selbst.

Es war daher ein ziemlicher Schock, dass ihn die einen wie die anderen nicht mehr in so großer Zahl gewählt haben, wie sie es einst taten. Es dauerte ein bisschen, bis der Patient Jürgen Rüttgers wieder einigermaßen hergestellt war. Am Montag, acht Tage nachdem er aus den Wahlstudios des Landtages geflüchtet war, machte der Patient die ersten öffentlichen Schritte auf dem Weltwasserstofftag in Essen. Dann gratulierte er Udo Lindenberg und am Donnerstag - nach Gesprächen mit Bankern und Wissenschaftlern über die Euro-Krise - richtete er ein paar Worte an das Volk. Er begrüße es, dass die SPD nun zur Vernunft gekommen sei und mit ihm über eine große Koalition verhandele. Alles werde wieder gut, und er wird dafür sorgen.

Ob er denn auf dem Amt des Ministerpräsidenten bestehe, wird er gefragt, will aber dazu nichts sagen. Sein Umfeld sagt, das brauche er ja auch gar nicht. Es laufe alles gut für ihn. Ob dem so ist, werden die nächsten Tage zeigen. SPD und CDU werden sich in der nächsten Woche zu Sondierungsgesprächen treffen. Auch Hannelore Kraft (SPD) sagt derzeit nicht öffentlich, dass sie auf jeden Fall Ministerpräsidentin werden will. Einen Regierungschef Rüttgers wird die SPD kaum akzeptieren. Die Frage ist, wer das bei der CDU dem Chef beibringt.

In der Mitte des Landes

Andererseits stehen die Rüttgers-Erben in dem mitgliederstärksten CDU-Landesverband nicht Schlange. Nach der nordrhein-westfälischen Landesverfassung muss der Ministerpräsident aus der Mitte des Düsseldorfer Landtags gewählt werden. Das macht die Lage übersichtlich. Importe aus der Bundespolitik wie der häufig gehandelte Bundesumweltminister Norbert Röttgen oder Kanzleramtschef Roland Pofalla - beide einflussreiche Bezirkschefs in der NRW-CDU - scheiden schon mangels Landtagsmandat für das Amt des Ministerpräsidenten aus. Und in der 67-köpfigen CDU-Landtagsfraktion sitzt derzeit auch kein Abgeordneter, der sich in einer großen Koalition zwangsläufig als Regierungschef geradezu aufdrängt.

Sollte die Partei ihren Regierungschef aber opfern, um Neuwahlen zu verhindern, dann werden Integrationsminister Armin Laschet, Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und der Generalsekretär der NRW-CDU, Andreas Krautscheid, als Nachfolger genannt. Krautscheid, 49, steht Rüttgers nahe, manchem in der Partei ist er ein wenig zu forsch. Laschet wiederum wird wegen seiner fortschrittlichen Integrationspolitik in den konservativen Teilen der Landes-CDU kritisch beäugt.

Mehrere Verlegenheitslösungen

Dem 49-jährigen Aachener fehlt es an innerparteilicher Hausmacht. Dagegen gilt der rustikale Westfale Laumann, 52, bei den Christdemokraten als Integrationsfigur. Der CDU-Linksausleger genießt als "ehrliche Haut" und "integerer Makler" selbst bei dem Wirtschafts- und Mittelstandsflügel seiner Partei Respekt. Doch auch Laumann wäre wie Laschet und Krautscheid als Ministerpräsident nur eine Verlegenheitslösung.

Dass es außer ihm niemanden gibt, sieht natürlich vor allem Rüttgers selbst so. Und es gibt derzeit keinen, der öffentlich das Gegenteil sagt, oder es zumindest anonym murmelt. Innerparteiliche Gegner, die dem selbsternannten "Arbeiterführer" eine maßgebliche Mitschuld an den schweren CDU-Verlusten in NRW ankreiden, sind derzeit nicht zu erreichen. Oliver Wittke, der den christdemokratischen Krawallos zugerechnet wird und Chef des mitgliederstärksten CDU-Bezirks ist, mahnt zu Ruhe und Besonnenheit.

"Wie kann ich Stabilität proklamieren, wenn ich über Veränderungen im eigenen Laden rede", sagt Wittke - und nimmt damit die Sprachregelung von Rüttgers auf, der mit einer zügigen Regierungsbildung "stabile Verhältnisse" in NRW schaffen will. Nach dem Scheitern der Sondierungen über ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis am Donnerstagabend tat der amtierende Ministerpräsident so, als habe er noch keine Gesprächseinladung der Sozialdemokraten vorliegen. Stattdessen suchte er die rhetorische Offensive. Er freue sich, dass die SPD sein Gesprächsangebot aus der vergangenen Woche annehmen werde. Es ist, als ob im Sandkasten darum gestritten werde, wer denn zuerst zum Kindergeburtstag eingeladen hat. Dabei geht es um ein ganzes Land.

Von der Verantwortung sprach auch Rüttgers, bevor er wieder hinauffuhr in sein Büro, in dem der Ministerpräsident näher bei den Leuten sein soll. Bei der Frage um den eigenen Machterhalt ist er vor allem sehr nah bei sich. Gleich nach Rüttgers kam sein Parteigeneral und sagte, was der Chef nicht so direkt sagen kann, bei der ganzen Sorge um das Land und die Menschen. "Rüttgers ist für uns der nächste Ministerpräsident", sagte Krautscheid. Schließlich habe die CDU bei der jüngsten Landtagswahl 6200 Stimmen mehr erhalten als die SPD. Jürgen Rüttgers, dem Mann, der so nah bei den Menschen ist, traut man zu, dass er alle 6200 persönlich kennenlernen will, wenn er denn an der Macht bleibt.

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