Koalitionsverhandlungen:Härtere Strafen, besserer Klimaschutz

Union und FDP haben sich bei der Inneren Sicherheit geeinigt. Auch den Ausstoß von Treibhausgasen wollen sie reduzieren. Bei anderen Themen gibt es kaum Fortschritte. Die Verhandlungsthemen im Überblick.

Michael Bauchmüller, Peter Blechschmidt, Stefan Braun und Daniela Kuhr, Berlin

Gegen halb sieben spendierte der Hausherr, Ministerpräsident Günter Oettinger, den erfolgreichen Verhandlern vier Flaschen Wein. Nach insgesamt fast 30 Stunden zähen Ringens hatten die Innen- und Rechtsexperten von Union und FDP in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg den Durchbruch erzielt.

Mit strahlenden Gesichtern verkündeten am Abend hochzufriedene Unionisten und Liberale ihre Einigung zur Inneren Sicherheit. Anders als viele andere Arbeitsgruppen bei diesen Koalitionsverhandlungen können sie der großen Runde der drei Parteidelegationen am Freitag ein geschlossenes Paket zur Billigung vorlegen.

Dass dies Signalcharakter für die Gespräche am Wochenende hat, machte CDU-Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble deutlich. Mit ausdrücklicher Billigung von Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) würden er, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und der CSU-Innenexperte Hans Peter Uhl ihre Ergebnisse verkünden.

Dazu zählen neben den großen Konfliktfeldern wie der Online-Durchsuchung von Computern und der Vorratsdatenspeicherung auch viele weniger beachtete Themen. So war die Union mit ihrer Forderung nach einer Visa-Warndatei erfolgreich.

Die FDP stimmte zu, nachdem feststand, dass in dieser Datei nicht jeder Antragsteller oder jeder Einlader gespeichert werden soll, sondern nur solche Personen, die schon einmal mit dem Ausländerrecht in Konflikt geraten sind. Die CSU erreichte einen "Warnschussarrest" für straffällige Jugendliche und die Anhebung der Höchststrafe für Heranwachsende bei Mord von 10 auf 15 Jahre.

Und die FDP setzte durch, dass etwaige Straftaten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz nur noch zentral von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht am jeweiligen Sitz des Einsatzführungskommandos, derzeit Potsdam, verfolgt werden sollen. Ein Bundeswehr-Einsatz im Inneren ist auch künftig nicht geplant.

In anderen Arbeitsgruppen wurden immerhin einige Detailfragen geklärt. So verständigten sich die Umweltpolitiker von Union und FDP darauf, "Deutschlands Vorreiterrolle beim Klimaschutz beizubehalten". Dazu müssten die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zurückgehen.

Damit geht Schwarz-Gelb noch über die Ziele hinaus, die seinerzeit Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt hatten. Bei der Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen werde sich die Bundesregierung "für ein anspruchsvolles Klimaschutzabkommen" einsetzen. Klimaexperten begrüßten dies. "Das ist das richtige Signal", sagte Regine Günther von der Umweltstiftung WWF.

Wie genau der Klimaschutz künftig aussehen soll, ließen die Unterhändler offen. Denkbar sei, mehr als bisher in die Sanierung von Gebäuden zu stecken, hieß es in Verhandlungskreisen. Wichtige Punkte sind allerdings noch nicht geklärt, etwa die künftige Förderung erneuerbarer Energien.

Für Solarstrom soll es weniger Förderung geben, nachdem der Zubau von kleinen und großen Solarkraftwerken alle Erwartungen übertroffen hatte - und damit zunehmend teuer wird. Wann und wie stark die Förderung abnehmen wird, ist jedoch offen.

Atomkraft

Das gleiche gilt nach wie vor für die Zukunft der Atomkraft. Zwar sind sich die Umwelt- und Energiepolitiker von Union und FDP einig, die Laufzeiten der deutschen Atommeiler zu verlängern. Entscheidend für den Betrieb soll die Sicherheit der Reaktoren sein. Woran sich diese bemisst, ist allerdings noch offen. Einem Textentwurf zufolge soll sie sich künftig am "Stand der Nachrüst-Technologie" orientieren. Die letzte Entscheidung aber fällt erst am Wochenende.

Arbeit und Soziales

Im Bereich Arbeit und Soziales haben sich Union und FPD darauf geeinigt, sittenwidrige Löhne zu verbieten. Das teilte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Donnerstag mit. Allerdings würde damit nur in Gesetzesform gegossen werden, was das Bundesarbeitsgericht bereits mehrmals entschieden hat: Löhne sind sittenwidrig und somit unzulässig, wenn sie nicht einmal zwei Drittel des üblichen Tariflohns in einer Branche und Region erreichen.

Vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kam Kritik. Das Vorhaben zementiere Hungerlöhne, sagte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki. Stattdessen sei ein allgemeiner Mindestlohn von 7,50 Euro erforderlich. Pofalla kündigte auch ein eigenes Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer an.

Verbraucherschutz und Agrar

Weitgehend einig sind sich die Fachpolitiker von Union und FDP auch beim Verbraucherschutz. Um beispielsweise Betrügereien im Internet zu erschweren, sollen Verträge künftig nur wirksam sein, wenn der Kunde auf einem Feld ausdrücklich bestätigt hat, dass er sich vertraglich binden will. Zudem sollen Anleger besser vor unseriösen Anbietern geschützt werden. "Kein Anbieter von Finanzprodukten soll sich der staatlichen Finanzaufsicht entziehen können", heißt es im Papier der Arbeitsgruppe.

Union und FDP wollen auch eine transparente Nährwert-Kennzeichnung von Lebensmitteln durchsetzen. Eine Ampel, die mit den Farben rot, gelb und grün zeigt, ob der Gehalt an Fett, Salz, Zucker oder Kalorien zu hoch oder in Ordnung ist, lehnen sie aber ab.

Im Agrarbereich will man den Milchbauern zwar helfen, der genaue Weg ist jedoch umstritten. Auch bei der Gentechnik ist man sich noch nicht einig. Die CSU beharrt darauf, dass jedes Bundesland selbst entscheiden soll, ob es den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen erlaubt oder nicht.

Außen- und Verteidigungspolitik

Keine Einigung erzielte die Arbeitsgruppe Außen- und Verteidigungspolitik in der Frage der Wehrpflicht. Die FDP fordert deren Aussetzung, weil es ihrer Meinung nach keine Gerechtigkeit bei der Einberufung zum Wehrdienst gibt und weil nur eine Berufsarmee die Anforderungen an moderne Streitkräfte im Einsatz erfüllen könne. Die Union will an der Wehrpflicht festhalten. Einig ist man sich jedoch, dass die Bundeswehr eine Strukturreform brauche. In diesem Zusammenhang bietet sich der großen Runde die Möglichkeit, einen Kompromiss zu finden.

Nach wie vor widersetzt sich die Union der FDP-Forderung, das Entwicklungshilfeministerium in das Auswärtige Amt (AA) einzugliedern. Demgegenüber waren frühere Wünsche der Union, die Kompetenz für die Europa-Politik vom AA ins Kanzleramt zu übertragen, in der Arbeitsgruppe angeblich kein Thema.

Ein weiterer Streitpunkt war das Thema EU-Beitritt der Türkei. Die FDP hätte es am liebsten gar nicht erwähnt, weil ihrer Meinung nach diese Frage in den nächsten vier Jahren nicht entschieden werden muss. Demgegenüber wollte die CSU durchsetzen, dass man der Türkei statt einer Vollmitgliedschaft eine "privilegierte Partnerschaft" in Aussicht stellt. Als Kompromiss einigte man sich darauf, dass wie bisher ergebnisoffen mit der Türkei verhandelt und die Entscheidung im Lichte der Ergebnisse getroffen wird.

Weitgehend einig sind sich die Koalitionäre beim Thema Afghanistan. So wollen sie darauf dringen, dass klare Ziele des Engagements definiert werden. Auch sollen Fristen für deren Erreichung gesetzt werden. Details sollen erst nach der geplanten großen Afghanistan-Konferenz Anfang nächsten Jahres festgelegt werden, wenn auch die künftige Strategie der Amerikaner und anderer Verbündeter feststeht. Das Bundestagsmandat für den Afghanistan-Einsatz, das im Dezember verlängert werden muss, soll zunächst unverändert bleiben.

Familie und Integration

Von einem echten Erfolg lässt sich bei der Arbeitsgruppe Familie und Integration nicht berichten. Hier ist es bislang vor allem gelungen, die allermeisten ebenso schwierigen wie spannenden Punkte nicht zu lösen - was bei den Parteichefs, wie zu hören ist, nicht eben Glücksgefühle auslöst.

So konnten sie sich im Streit um Bildungs- und Betreuungsgutscheine, wie die Liberalen sie fordern, und dem Beharren der CSU auf einem Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder zuhause betreuen, nur auf den sogenannten Dissens einigen - und das Thema auf die höhere Ebene zur Entscheidung weiterleiten.

Das gleiche gilt für die Pläne, den Kinderfreibetrag und das Kindergeld anzuheben (was letztlich wirklich die Finanzer und die Parteichefs entscheiden); es gilt aber auch für rechtliche Fragen, wie etwa die Erlaubnis der künstlichen Befruchtung für Frauen unabhängig von ihrem Familienstand.

Einen Dissens gibt es darüber hinaus bei der Frage, ob der Jugendschutz im Internet ausgebaut werden soll, sowie bei den Plänen der FDP, die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften im Steuer-, Adoptions- und Beamtenrecht voranzutreiben. Im Bereich der Familienpolitik sind viele Antworten also nach oben in die große Runde delegiert worden.

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