Koalitionsverhandlungen:Gedeih oder Verderb

Ohne ein weiteres partielles Nachgeben der Union wird es eine Koalition nicht geben, weil die SPD unter einem Damoklesschwert verhandelt. Die Kanzlerin muss ihre mediatorischen Fähigkeiten aktivieren.

Von Heribert Prantl

Seit bald sechs Jahren gibt es in Deutschland ein wunderbares Gesetz, das die Kraft hat, die Rechtskultur im Land der Streithanselei zu verändern. Dieses wunderbare Gesetz zur "Mediation", so der Fachausdruck, dient der außergerichtlichen Beilegung von Konflikten. In Paragraf 1 heißt es: "Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren eine einvernehmliche Lösung ihres Konflikts anstreben." Genau so ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren wünscht man den Koalitionsgesprächen von CDU, CSU und SPD, die jetzt offiziell beginnen.

Das Mediationsgesetz meint natürlich nicht die politischen Parteien, sondern Bürger und Firmen, die Konflikte miteinander austragen. Doch auch CDU, CSU und SPD hätten einen Mediator oder eine Mediatorin nötig. Die bisherigen Gespräche stimmen einen nicht gerade zuversichtlich; da fliegen die Beleidigungen von der CSU zur SPD und zurück, da werden Verhandlungsergebnisse vom SPD-Chef erst lobend in den Himmel gehoben und dann wieder infrage gestellt. Es ist so: Der Ort der Bündnisverhandlungen ist eigentlich nicht ein Landeplatz für Zwerge, Blödmänner und sonstige Gift- und Geifereien. CSU und SPD aber benehmen sich so, als seien sie noch in der Endphase des letzten Wahlkampfes oder schon in der Anfangsphase des nächsten.

Katzenmusik ist nicht die richtige Begleitmusik für die Verhandlungen

Man kann es nicht oft genug sagen: Eine Koalition ist ein Bündnis auf Gedeih, nicht auf Verderb. Die potenziellen Bündnispartner können die Sache auch schon im Ansatz verderben. Ohne ein einigermaßen gedeihliches Umgehen miteinander wird es keine Koalition geben. Das Bündnis sollte also nicht schon vergiftet werden, bevor man überhaupt richtig verhandelt hat. Zur notwendigen Grund-Fairness im Umgang gehört eine gewisse öffentliche Zurückhaltung im Verlobungsstadium; in diesem Stadium befindet sich die große Koalition derzeit; es ist dies das Stadium des Suchens und Findens.

Andrea Nahles hat sich in ihrer rauschhaft-leidenschaftlichen Rede beim SPD-Parteitag am Sonntag dieser Zurückhaltung nicht befleißigt; das war verständlich, aber nicht unbedingt klug. Sie hat auf Sticheleien und Gemeinheiten von CSU-Landesgruppenchef Dobrindt heftig reagiert; sie wollte sich nicht in Griff nehmen, um auf diese Weise aber den Parteitag in Griff zu nehmen. Es war dies eine Art Notwehr, die Dobrindt provoziert hatte. Notwehr und Notwehrprovokation aber sind nicht die richtige Begleitmusik für Bündnisgespräche. Das ist Katzenmusik; sie regt auf, nicht an.

Es ist den weiteren Koalitionsgesprächen auch nicht dienlich, wenn die CSU noch am Abend des SPD-Parteitages unwirsch erklärt, dass man den Forderungen des SPD-Parteitages kein Jota nachgeben werde, ja dass sie über diese Forderungen gar nicht verhandeln wolle. Das ist nicht Koalitionspolitik, das ist Koalitionsverhinderungspolitik - auch wenn man Verständnis haben kann für diese Ablehnung durch die CSU; sie ist nicht sachgrundlos. Sie rührt daher, dass es sich bei zentralen Passagen des Sondierungspapiers schon um vorweggenommene Teile eines Koalitionsvertrags handelt.

Üblicherweise gehen Sondierungsgespräche den Koalitionsgesprächen voraus. Üblicherweise sind Sondierungsgespräche lediglich Vorgespräche, bei denen das Spielfeld abgesteckt wird, auf dem dann die Hauptverhandlungen, also die formellen Koalitionsgespräche stattfinden. Diesmal war das anders: Einige zentrale Politikfelder - Sozialpolitik, Rentenpolitik, Flüchtlingspolitik - wurden schon im Rahmen der Sondierungen nicht einfach nur abgesteckt, sondern schon komplett durchgespielt. Die CSU liegt daher nicht falsch, wenn sie genau darauf hinweist und in den eigentlich fertig abgesprochenen Punkten nicht erneut verhandeln will. Die SPD dagegen zieht sich auf die offizielle Bezeichnung "Sondierung" zurück - und erklärt, dass das eigentliche Verhandeln jetzt erst komme. Es gehe also nicht um ein Nach-, sondern um ein Hauptverhandeln. Besonders überzeugend ist das nicht, selbst wenn man Positionen der SPD inhaltlich für richtig hält.

Die Koalitionskunst besteht nun darin, diese eigentlich unvereinbaren Perspektiven von CSU und SPD unter einen Hut zu bringen. Ohne ein partielles weiteres Nachgeben der Union wird es eine Koalition nicht geben, weil die SPD unter dem Damoklesschwert des Mitgliederentscheids verhandelt. Die Kanzlerin muss ihre mediatorischen Fähigkeiten aktivieren.

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