Koalitionsverhandlungen:Das Elend der SPD

SPD-Bundesparteitag

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am 16. November auf dem Bundesparteitag seiner Partei in Leipzig

(Foto: dpa)

Ein Wahlprogramm ist ein Wunsch, nicht schon das Ergebnis. Wer nach der Wahl keine absolute Mehrheit hat, muss sich auf andere und auf deren Vorstellungen einlassen. Die SPD scheint damit ihre Probleme zu haben. Doch wer in der Politik so denkt, ist letztlich nur um seiner selbst willen da.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Berthold Huber, der bisherige Vorsitzende der IG Metall, hat zum Abschied etwas gesagt, das im Grunde recht banal ist. Aber es ist ein schöner Lehrsatz, und er gilt nicht bloß für Gewerkschafter. Huber sagte: "Die IG Metall ist nicht um ihrer selbst willen da. Sie ist der Menschen wegen da: derer, die sie vertritt, und derer, um die sie sich bemüht."

Das muss man wohl manchmal einer Gewerkschaft in Erinnerung rufen, die am Montag zwar einen Durch-und-durch-Pragmatiker - den bisherigen Vize Detlef Wetzel - zu ihrem Chef wählte, aber dies nur mit 75 Prozent, einem Resultat, das einer Abstrafung gleichkommt. Ganz bestimmt aber darf man dies den Brüdern und Schwestern von der SPD zurufen. Bis in die Nacht zum Mittwoch dauern die Koalitionsverhandlungen noch, dann wissen die Genossen, worüber sie abzustimmen haben. Aber wer sich umhört unter ihnen, der hat nicht unbedingt den Eindruck, dass es wirklich ankommt auf das, was Sigmar Gabriel aushandeln wird.

Die SPD hat derzeit einen Vorsitzenden, der genau so ist, wie die Leute sich Politiker immer wünschen: leidenschaftlich, authentisch, in freier Rede kämpfend. Und was halten die Mitglieder ihm entgegen? Dass sie ihre "Leidenschaftsthemen" habe - so sagte es eine Genossin auf einer Regionalkonferenz. Wenn die im Koalitionsvertrag nicht geregelt seien, stimme sie nicht zu; eine typische Haltung. Oder dass er nicht ein Jahr lang Wahlkampf gemacht habe, damit nun "ein Alexander Dobrindt" Minister wird, wie es der Publizist Christian Nürnberger ausdrückt (der als SPD-Kandidat in Franken angetreten war).

Wer hat recht?

Aber was für ein Argument ist das? Wem es vor dem CSU-Politiker graust, dem sei gesagt, dass auch der vermutlich nicht ein Jahr lang Wahlkampf gemacht hat, um demnächst mit Sozis den Kabinettstisch zu teilen. Vielleicht würde sich manchen SPD-Mitgliedern eine solche Einsicht leichter erschließen, wenn sie mal mit Gewerkschaftern sprächen, und zwar der großen pragmatischen Mehrheit unter ihnen. Ein Wahlprogramm ist letztlich nichts anderes als eine Forderung zu Beginn jeder Tarifrunde: der Wunsch, nicht schon das Ergebnis. Wer nach der Wahl im Parlament keine absolute Mehrheit hat, muss sich, wenn er trotzdem mitbestimmen will, auf andere und auf deren Vorstellungen einlassen. Irgendwo auf halbem Weg einigt man sich dann. Vielen SPD-Mitgliedern mag zwar noch in etwa präsent sein, dass es zur absoluten Mehrheit am 22. September nicht gereicht hat. Macht aber nix, lautet ihre Devise; absolut im Recht sind wir trotzdem.

Wer in der Politik so denkt, ist letztlich nur um seiner selbst willen da. Ihm ist sein moralischer, ja elitärer Rigorismus wichtiger. Ihm ist es lieber, 100 Prozent eines Programms nicht durchzusetzen, als 50 Prozent durchzusetzen. Er befleckt sich lieber nicht in der Werkstatt einer Regierung, wo er zwar keine Vermögensteuer durchsetzen wird, wohl aber bewirken könnte, dass Floristinnen demnächst mehr als fünf Euro die Stunde und Leiharbeiter den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten. Der schreit lieber in der Opposition herum; so wie es die Gewerkschaften vor Jahren im Protest gegen die Agenda 2010 versuchten. Das Ergebnis war nur, dass ihnen die Mitglieder so davonliefen wie der SPD heute die Wähler. Erst seit die Gewerkschafter von den Marktplätzen in die Betriebe zurückgekehrt sind und sich wieder intensiv um handfeste Probleme der Beschäftigten kümmern (in traditionellen und in neuen Branchen), legen sie wieder zu.

Diese Phase haben viele Genossen noch nicht erreicht. Sie halten es für das beste Rezept, in der Reinheit der Opposition am großen Gesellschaftsentwurf zu arbeiten. Sie vertrauen darauf, dass der Tag schon kommen wird, an dem die Menschen dessen Grandiosität erkennen. Wie aussichtsreich so etwas ist, kann man seit 60 Jahren am Beispiel der Bayern-SPD studieren. Zeit zum Überlegen ist womöglich das Einzige, was die im Überfluss hat.

Viele an der SPD-Basis haben nicht begriffen, dass Politik und Gewerkschaftsarbeit ganz ähnlich funktionieren: Man stellt Forderungen, man kämpft, hinterher stellt man die eigenen Erfolge heraus, und dann kämpft man weiter. "Einen langen Atem haben", nennt DGB-Chef Michael Sommer dies. Das Elend der SPD entsteht nicht dadurch, dass sie sich nun ein weiteres Mal mit Merkel einlassen soll. Das Elend ist das ewige Hadern mit sich selbst. Man erzählt nicht, was man erreicht hat. Man bejammert, was man nicht erreicht hat.

Sollte dies die Haltung sein, mit der die Genossen vielleicht doch noch die große Koalition auf sich nehmen, dann wird es in der Tat spätestens 2017 so enden wie beim letzten Mal. Nur schlimmer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: